Bélas Sünden
erst montags wieder. Ich hatte meinen freien Tag und schon überlegt, wie ich ihn mit Anstand hinter mich brächte. Kurz nach Mittag ging der Schlüssel in der Tür. Und Béla kam durch die Diele geschlendert, als sei er gerade mal für fünf Minuten am nächsten Zigarettenautomaten gewesen. Gegessen hatten wir schon, ich war mit dem Abwasch beschäftigt. Sonja half mir. Ich glaube, wir standen beide wie zur Salzsäule erstarrt, als Béla in der Tür auftauchte.
Das halbe Wochenende hatte ich geschrieben, etliche Seiten Verzweiflung. Ich war sicher gewesen, dass meine Zeit abgelaufen war. Dass Andreas ihn davon überzeugt hatte, um wie viel einfacher es war, mit einem Mann zu leben. Dass er nur noch einmal kam, um seine Sachen zu holen. Das glaubte ich noch, als er hereinkam.
Er stellte das Keyboard bei der Küchentür ab, blieb daneben stehen. Für Sonja zauberte er ein zerknirschtes Lächeln auf sein Gesicht. »Machen wir morgen Nachmittag Boy George. Da muss ich nicht arbeiten. Hab ich nicht vergessen. Lässt du uns zwei Minuten allein?«
Sonja legte mit einer Miene, die irgendwie glücklich und erleichtert wirkte, das Geschirrtuch auf den Tisch und ging hinaus. Dann war ich an der Reihe. Er streckte die Hand aus, strich mit dem Handrücken über meine Wange, zuckte mit den Schultern.
»Hab ich viel nachgedacht über uns«, sagte er. Er entschuldigte sich nicht, nahm mich in die Arme, drückte sein Gesicht gegen meines. »Hab ich dich so vermisst, Liska. Konnte ich es nicht mehr aushalten ohne dich. Werde ich dich nie wieder verlassen, nicht für einen Tag.
Wird bestimmt nicht wieder vorkommen.« Und es kam doch wieder vor. Den ersten Ausflug mitgerechnet, waren es vier in den drei Jahren, die wir noch in der Wohnung blieben. Béla packte nie einen Koffer, nur sein Keyboard, und verschwand für ein paar Tage, im Höchstfall zwei oder drei. Ich wusste nie genau, wohin. Aber ich ahnte es jedes Mal. Und jedes Mal dachte ich, es wäre vorbei. Dass Béla sich nun endgültig entschied, mit Andreas zu leben, weil der unkomplizierter war. Jedes Mal starb ich tausend Tode. Aber ich gewöhnte mich an die Ausflüge in die Arme des besten Freundes. Nach den anfänglichen Eifersüchteleien begriff ich sogar irgendwann, dass Andreas keine wirkliche Gefahr für mich darstellte, mich nicht verletzte oder bedrohte. Da waren die Blicke, die kleinen Gesten, die anzeigten, dass es etwas mehr war als reine Freundschaft unter Männern. Aber in meinem Beisein hielt Andreas sich zurück, legte ihm nicht einmal den Arm um die Schultern. Und was Krankheiten anging, Heinz hatte sich darum ja zu Anfang Sorgen gemacht, nur waren die nicht nötig. Sie waren beide gesund und nicht interessiert an anderen Partnern. Andreas erlag irgendwann dem Charme von Gisela, mit der Werners Frau ihn unbedingt verkuppeln wollte. Sie heirateten. Und wenn danach noch etwas war, gut, dann war es eben so. Damit konnte ich umgehen. Mit dem, was sonst noch kam, hatte ich erheblich mehr Schwierigkeiten.
Es waren Bélas Träume. »Eines Tages, Liska.« Drei Jahre lang schwärmte er mir vor, wie es wäre, wenn er als freier Mann hinter dem Tresen seines Lokals stünde. Wir wären den ganzen Tag zusammen und die ganze Nacht. Keine einsamen Samstagabende mehr, keine Sonntag- nachmittage mit Tanztee und schmalziger Musik. Keine Nächte, in denen er mich kurz nach zwei aus dem Schlaf reißen musste, um mir zu zeigen, wie sehr er mich liebte und begehrte. Das Frühstück morgens um zehn, gemütlich, in aller Ruhe. Danach wollte er das Lokal öffnen, ich sollte mich an die Schreibmaschine setzen. Wenn Sonja um zwei aus der Schule käme, ein gepflegtes, gemeinsames Mittagessen, anschließend ein bisschen ausruhen, bis fünf.
»Wir werden ein richtiges Schlafzimmer haben, Liska. Dann schließen wir die Tür ab. Wir werden uns lieben. Am Nachmittag ist die Liebe viel schöner. Man ist nicht müde. Du wirst es genießen.«
Und wenn wir uns geliebt hatten, wollte er wieder hinter dem Tresen stehen, ich sollte wieder an der Schreibmaschine sitzen. Und am Abend sollte ich zu ihm kommen. Er wollte die Gäste bedienen, Musik für sie machen. Ich brauchte nur dabei zu sitzen. Kurz und gut, es wäre wundervoll. Er konnte so herrlich schwärmen. Drei Jahre lang hörte ich ihm dabei zu. Anfangs wehrte sich alles in mir gegen den Gedanken, meine sichere Stelle im Drogeriemarkt gegen eine Utopie einzutauschen. Dass ich mich eines Tages vom Schreiben ernähren könnte, gut, ich
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