Bélas Sünden
kriegst.«
Danach sprach sie kein Wort mehr, drei Wochen lang. Während dieser drei Wochen bemühten sich Béla und Heinz mit Spachtelmasse, Fensterkitt, Holzleim, Dielenbrettern, Unmengen von Nägeln und Schrauben, Tapeten und Teppichböden die gröbsten Mängel zu verdecken. Abends berichtete Béla von den großartigen Fortschritten. Es klang jedes Mal, als zögen wir in Kürze in einen Palast. Hatte ich das jungenhaft Unbekümmerte wirklich einmal für eine Tugend gehalten? Damals konnte ich mich daran nicht mehr erinnern. Aber es ließ sich nichts rückgängig machen. Und nachts vergaß ich für eine halbe Stunde, was uns bevorstand. Meta nahm die Gardinen von meinen großen Fenstern ab, wusch sie, ließ sie trocknen, zerschnippelte sie und nähte viele kleine Gardinen daraus. Ab und zu schaute Meta auch nach Sonja, die – inzwischen völlig versteinert –, nachmittags reglos vor ihrem Schreibtisch saß. Ich saß derweil an der Kasse im Drogeriemarkt und hatte das Gefühl, vor einem Berg zu stehen, den ich niemals überwinden konnte. Meine sichere Zeit lief ab. Wenn ich abends heimkam, sagte Meta: »Rede mal mit dem Kind, Lisa. Das gefällt mir nicht, wie sie da immer sitzt.«
Ich versuchte jeden Morgen, mit Sonja zu reden. Béla blieb solange im Bett, um uns nicht zu stören. Ich erreichte trotzdem nichts. Zuerst schaute Sonja durch mich hindurch, später verzichtete sie auf das Frühstück. Nach den drei Wochen räumte sie ihren Kleiderschrank aus, brachte einen Großteil ihrer Garderobe zu den Böhring-Mädchen hinüber und löste damit wahre Jubelstürme aus. Es waren besondere Stücke, von denen sie sich nie hatte trennen wollen. Was machte es schon, wenn sie nicht mehr passten? Sie waren schön, sie waren teuer gewesen, sie waren der Beweis dafür, dass es uns gut gegangen war. Das blaue Kleid mit den weißen Spitzen passte inzwischen Metas Ältester. Während Marion es anzog, sprach Sonja zum ersten Mal wieder. »Wenn ich die Sachen mitnehme, stinken sie eines Tages, oder sie faulen mir weg.« Der dritte Akt begann mit unserem Einzug. Wir hatten ein bisschen Pech mit dem Wetter. Anfang Mai, viel Regen, viel Wind, das Thermometer kam selten über zehn Grad, richtiges Novemberwetter, wie Allerheiligen auf dem Friedhof, so fühlte ich mich.
Aber ich gab mir Mühe, glücklich zu wirken, Optimismus zu verstrahlen und es damit Béla gleichzutun. Ich dachte, wenn ich Sonja mit gutem Beispiel vorangehe, könnte ich ihr begreiflich machen, dass ein harmonisches und geregeltes Familienleben einer modernen Zweizimmerwohnung mit Bad vorzuziehen war. Mit den Möbeln gab es weniger Schwierigkeiten als erwartet. Die Einrichtung von zwei Zimmern ließ sich bequem auf sieben Kämmerchen verteilen. Zwei für Sonja, vier für Béla und mich, eins für die überzähligen Küchengeräte. Herd, Kühlschrank und so weiter. Wir hatten die Kücheneinrichtung mit dem Inventar der Gaststätte übernehmen müssen. Nachdem alles aufgestellt war und sich Andreas mit Freundin, Werner mit Frau, Heinz und Meta samt ihren Töchtern – es hatten alle fleißig mitgeholfen – verabschiedet hatten, saßen Béla und ich auf der Couch in einem Zimmerchen. Sonja hatte sich in das Zimmer verkrochen, in dem ihr Schreibtisch stand. Dort schrieb sie ihr Elend in ein Tagebuch. Alle Bitten: »Setz dich doch zu uns«, waren im Knarren der Fußböden untergegangen.
Es war ungemütlich. Die winzige Gardine blähte sich trotz geschlossenem Fenster unaufhörlich, als würde sie mit einem Föhn bearbeitet. Nur war der Luftzug auf dem Gesicht nicht so warm. Béla holte mir eine Wolldecke vom Bett und zur Aufwärmung von innen einen Sherry. Er musste ziemlich laufen, ehe er alles beisammen hatte. Und die Gruselfilmmusik begleitete ihn. »Hier werde ich nur Spukgeschichten schreiben können«, sagte ich, als er zurückkam. Wir hatten die Couch im allerletzten Zimmerchen aufgestellt, Tisch und Sessel natürlich auch. Der Schrank stand nebenan – zum Teil. Ein weiterer Teil stand in dem Verlies neben unserem »richtigen Schlafzimmer«. Heinz hatte von sämtlichen Teilen oben etwas absägen müssen, die Decken waren halt sehr niedrig. Es sah scheußlich aus mit all den frischen Sägekanten. »Am besten stelle ich mir einen Tisch vors Fenster«, sagte ich. »Wenn ich da sitze, habe ich das ganze Haus im Rücken. Da fallen mir bestimmt viele Scheußlichkeiten ein.« Béla drückte mir das gefüllte Glas in die Hand, wickelte mir die Wolldecke um Bauch und
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