Bélas Sünden
diesem Monat hatten wir dreimal darüber diskutiert, ob wir uns einen Aushilfskellner leisten konnten. Wir konnten nicht, fand Béla, noch nicht, und wir mussten erst einmal sehen, wie wir am Ende des Monats dastanden. Auch die Putzfrau musste warten. Meist machten wir nachts noch das Gröbste weg. Morgens wechselten wir uns ab, einmal durfte ich ausschlafen, einmal er. In dem Monat hatte ich Sonja viermal zu Gesicht bekommen, zweimal, als sie kurz nach neun am Abend ins Haus kam, zweimal, als sie es kurz vor zehn wieder verließ. »Ich gehe zu Meta. Bei dem Krach kann ich nicht schlafen, und wir schreiben morgen eine wichtige Arbeit.« Und fünfmal stand Heinz neben mir hinter dem Tresen, eigentlich als Gast gekommen. Aber als ich nach Béla rief, erbarmte er sich. »Lass ihn spielen, ich mach das.« Dann grinste er. »Ich wollte schon immer wissen, wie man sich hinter der Theke fühlt.« »Beschissen«, flüsterte ich.
Heinz legte mir den Arm um die Schultern. »Ach, Lisa, betrachte es doch mal von der angenehmen Seite. Ihr seid zusammen, baut euch eine gemeinsame Existenz auf. Ihr liebt euch, das ist die Hauptsache, der Rest ist Übung.« Und das ausgerechnet aus seinem Mund. Sechsmal hatten wir diskutiert, ob wir die Küche doch öffnen sollten. Es musste keine üppige Speisekarte sein, nur in etwa die Auswahl wie bei der Eröffnung. Trotzdem, noch mehr Arbeit. Mein Geburtstag ging in Diskussionen unter. Die Schreibmaschine verstaubte in einem der Kämmerchen. Das war also das geregelte Leben. Hauptsache, du hast einen Mann im Bett! Liebe am Nachmittag, zwischen zwei und fünf. Nicht jeden Tag, dreimal, viermal in der Woche, und ich konnte es nicht einmal genießen, war mit meinen Gedanken immer schon beim Abend.
Ich fühlte mich aus allem herausgerissen, von allem getrennt, was vorher wichtig gewesen war. Meine Tochter, meine Eltern, die Kolleginnen. Ich hasste die Kneipe, ich hasste das Haus, manchmal hasste ich sogar Béla, der mir das angetan hatte. Das erste halbe Jahr war eine Katastrophe. Im Sommer waren es die Gäste. Waren es zu viele, kam ich allein nicht zurecht. Waren es zu wenige, stand unsere Existenz auf der Kippe. Zum Herbst hin hatte ich das einigermaßen im Griff. Da konnte ich auch zwanzig Mann am Tresen und sechs vollbesetzte Tische bewältigen und immer noch zwischendurch etwas zu essen aus der Küche holen. Aber dann kamen die kalten Nächte. Wenn der Geschirrspüler lief, und nachts lief er meist, durften wir nur ein Zimmer heizen. Im Herbst war Sonja wieder häufiger bei uns. Manchmal saß ich morgens mit ihr in der Küche, hinter uns fauchten acht Gasflammen und zwei offene Backöfen. Über uns sprachen wir nicht, nur über die Böhrings, bei denen zwar die Zimmertemperaturen angenehm waren, ansonsten jedoch ein arktisches Klima herrschte.
»Sie hatten wieder Krach«, sagte Sonja oft. »Die halbe Nacht haben sie gestritten, wieder mal ums Geld. Als Heinz aus der Schicht kam, ging es los. Wir sind aufgewacht, Marion und ich. Dann heulte auch noch Marion los: ›Der arme Papa, immer hackt Mama auf ihm herum.‹ Nachdem sie sich eine halbe Stunde lang gestritten hatten, hat Meta sich auf die Couch gelegt. Marion ging nach nebenan und kroch zu Heinz ins Bett, um ihn zu trösten. Da konnte ich endlich weiterschlafen.« Nach solchen Nächten zog sie meist kurzzeitig ihr eigenes Bett vor. Aber nie für lange. »Also ich finde«, hörte ich regelmäßig von ihr, »Meta hat Recht. Heinz gibt wahnsinnig viel Geld für sich aus. Und er ist viel unterwegs. Soll ich dir mal was sagen? Ich glaube, er geht fremd, da muss er seiner Freundin wohl Geschenke machen. Das ist eine Sauerei. Wenn Meta nicht putzen würde, könnten sie die Miete nicht bezahlen, oder sie hätten nichts zu essen.« Wenn Meta mit ihm schlafen würde, dachte ich jedes Mal, müsste er nicht einer Freundin Geschenke machen. Wie kann ich denn heiraten, wenn ich dazu nicht bereit bin? Ich kann es doch nicht nur tun, um Kinder in die Welt zu setzen. Und gläubig in dem Sinne war Meta bestimmt nicht. Laut sagte ich: »Übertreibst du nicht ein bisschen?«
»Nein«, sagte Sonja. Dann ging sie zur Schule, und ich dachte an Heinz. Er geht fremd. Was sollte er sonst tun?
Bei den Böhrings hatte sich nichts verändert, auch wenn Meta sich inzwischen ab und zu die Haare wusch. Mehr tat sie nicht damit. Sie trug sie lang über den Rücken hinunterhängend, im Nacken mit einem Gummi zusammengehalten. Die ehemals dunkelblonde Farbe war
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