Bélas Sünden
bereits von Unmengen grauer Strähnen durchzogen. Der perfekte Rahmen für ihr müdes Gesicht. Ich saß noch eine Viertelstunde am Küchentisch, dann ging ich nach nebenan und holte mir unter der Dusche den nächsten Schnupfen. Anlass genug, um vor der eigenen Tür zu kehren. Im Februar geschah das, was ich zwar einkalkuliert, aber trotzdem nicht richtig mitberechnet hatte, als Béla noch Luftschlösser baute. Ein paar Tage dicke Luft. Sonja hatte gefragt, ob wir auch in diesem Jahr keinen Urlaub machen würden. Im Vorjahr war er ausgefallen. Kein Mensch macht Urlaub, wenn er gerade sein Glück mit einer neuen Existenz versucht. Ob sie dann wohl zusammen mit einer Schulfreundin und deren Eltern nach Gran Canaria fliegen könne, wollte Sonja wissen. Die würden sie gerne mitnehmen. Entscheidung bitte bis zum Abend, wegen der Hotelbuchung.
»Was wird das kosten?«, erkundigte sich Béla.
Sonja zuckte mit den Achseln, schaute mich an, während sie ihm antwortete: »Keine Ahnung, vielleicht tausend
Mark.«
Béla schüttelte den Kopf. »Das ist zu viel.«
Sonja riss empört die Augen auf, stieß ein entrüstetes »Der spinnt wohl!« hervor und forderte: »Sag doch was, Mama! Soll ich wegen eurer verdammten Kneipe den ganzen Sommer hier in der Bruchbude hocken? Heinz und Meta mieten sich einen kleinen Campingwagen. Sie fahren nach Spanien, aber mitnehmen können sie mich nicht.
Meta schläft schon mit den Kindern im Vorzelt. Im Wagen ist nur Platz für zwei Personen.«
Bei den Böhrings wurde neuerdings unterteilt in Kinder und Personen. Marion gehörte zu den Personen. Heinz ebenfalls. Meta theoretisch auch, aber sie betätigte sich lieber als Glucke und saß auf den jüngsten Eiern. Ich weiß nicht, ob ich mir noch Gedanken über Metas Gründe machte. Wahrscheinlich nicht mehr, ich hatte genug mit uns zu tun. Sonja war den Tränen nahe, presste sekundenlang die Lippen aufeinander und fuhr fort: »Ich habe früher nie um einen Pfennig betteln müssen. Wir sind immer in Urlaub gefahren. Wenn ich was zum Anziehen brauchte, hat Mama es gekauft. Wir hatten genug Geld. Du, mit deiner Schnapsidee, ruiniert hast du uns.« Es war das erste Mal, dass sie Béla angriff. Bisher hatte sie die Schuld an der Misere ausschließlich mir in die Schuhe geschoben. Wenn ich nein gesagt hätte, säßen wir noch in unserer schönen, warmen Wohnung. Wie oft in den letzten Monaten hatte ich ihr im Stillen schon Recht gegeben? »Du bekommst das Geld«, entschied ich knapp. Bevor Béla dazu kam, lauthals zu protestieren, erklärte ich: »Ich habe noch ein paar Seiten oben liegen. Ich werde mich in den nächsten Tagen darum kümmern und eine Geschichte fertig schreiben. Es wird ohnehin Zeit, dass ich mich wieder an die Maschine setze.« Sonja bedankte sich nicht, nickte nur, einigermaßen zufrieden mit meinem Machtwort. Béla schwieg. Drei Tage lang versuchte ich während unserer Mittagspause, ein paar Seiten heile Welt und zärtliche Liebe zu produzieren. Aber in der Umgebung brachte ich nichts in dieser Art zustande und verlangte schließlich von Béla tausend Mark, nach Möglichkeit etwas mehr. Sonja brauchte ja auch Taschengeld.
Das war in der Nacht zum Mittwoch, wir lagen schon im Bett und konnten am nächsten Morgen etwas länger schlafen. Damals war der Mittwoch unser Ruhetag. Es gab keinen Streit. Béla murmelte etwas, das nach einer Zustimmung klang, und rollte sich auf die Seite. Ich schlief rasch ein. Kurz nach sechs erwachte ich einmal. Da stieg er gerade aus dem Bett und ging zur Tür. Ich nahm an, dass er zur Toilette wollte, schlief wieder ein. Als ich das nächste Mal erwachte, war es zehn vorbei. Ich lag allein im Bett und ging davon aus, dass Béla dabei war, Frühstück zu machen.
Am Ruhetag gab er sich immer viel Mühe. Ließ die Gasflammen lodern, bis in der großen Küche einigermaßen erträgliche Temperaturen herrschten. Brachte mir den ersten, heißen Kaffee ans Bett und hielt mir den dicken Bademantel bereit, damit ich nicht eine Sekunde länger frieren musste als unbedingt nötig. Er war, weiß Gott, kein Ekel und auch kein Egoist, der für seinen Traum alle anderen vergaß. Ich wartete unter der warmen Decke ein paar Minuten auf meinen Kaffee, ehe mir auffiel, dass es im Haus still war. Kein Rumoren aus der Küche, kein Klappern von Geschirr, kein Zischen von Flammen. Es war eisig im Schlafzimmer, mein Bademantel lag über dem Stuhl am Fußende des Bettes. In ihn hineinzuschlüpfen, kostete Überwindung.
Ich
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