Bélas Sünden
sie.
»Morgens zu arbeiten, wäre mir lieber. Da sind die Kinder in der Schule. Das ist ein Grund. Der andere ist, die Schule zahlt schlecht. Das lohnt sich kaum.«
Ich fragte, warum sie nicht in ihren Beruf zurückging.
»Du bist eine ausgebildete Krankenschwester, Meta, und überall suchen sie händeringend nach Pflegepersonal. Du könntest viel mehr verdienen als mit einer Putzstelle.«
Sie winkte ab.
»Das bringe ich nicht mehr. Ich bin zu lange draußen. Außerdem, Schichtarbeit. Ich müsste ja auch wieder Nachtschicht machen. Ich kann doch die Kinder nachts nicht allein lassen.«
Dass auch die Jüngsten zu dem Zeitpunkt schon keine Kinder mehr waren, Susanne war vierzehn, Anika dreizehn, sah Meta nicht oder wollte es nicht sehen. Sie war eine Glucke und würde sich niemals ändern, dachte ich. Seitdem putzte sie für uns, zuerst nur das Lokal, später auch die Wohnung. Und jetzt lag ihr Mann tot in meinem Schlafzimmer. Der alte Dussing schüttelte fassungslos den Kopf und murmelte:
»Das gibt’s doch nicht, der Heinz?!«
In meinem Kopf verwischte sich erneut alles. Es war hirnrissig, ich dachte trotzdem unentwegt den Satz, den ich in der vergangenen Nacht zu Dierk Römer gesagt hatte.
»Du kennst ihn nicht.«
Damit hatte ich gemeint, dass Dierk nicht beurteilen konnte, wie mir zumute war, wenn ich Béla gegenüberstand. Dass ich es niemals schaffen würde, in Bélas Augen zu sehen und dabei zu erklären:
»Es hat keinen Sinn mehr mit uns.«
Dass Béla mich nur in die Arme nehmen musste, um alle guten Vorsätze und alle Vernunft zunichte zu machen. Aber sie kannten sich wirklich nicht, waren sich nie begegnet, ich hatte nie ein Foto gezeigt. Irgendwann war Dierk jedoch beim Lesen meiner Geschichten darüber gestolpert.
»Ist dir schon mal aufgefallen, dass du immer den gleichen Typ Mann beschreibst, Lisa? Dunkles, lockiges Haar und so weiter.«
Auch Heinz war dieser Typ. Gewesen! Eine Verwechslung? Erschossen, nur weil er einem anderen ähnlich sah? Guter Gott, hilf mir doch, dachte ich. Lass mich nicht den letzten Rest Verstand verlieren. Offermann brachte mich auf das Naheliegende zurück, wollte wissen, ob ich eine Erklärung hätte, wie Heinz in mein Schlafzimmer gekommen sei und was er da zu tun gehabt hätte. Woher hätte ich das wissen sollen? Heinz hatte gewusst, dass ich Sonntagnacht nach München gefahren war und wie lange ich wegbleiben wollte. Er hatte mich danach gefragt am frühen Sonntagabend, als er sein Bier austrank und sich von mir verabschiedete.
»Wann sehen wir uns wieder, Lisa?«
»Am Freitag.«
Heinz grinste, ein komisches Grinsen, ein bisschen gehässig und ein bisschen verletzt. Er warf einen kurzen Blick zu Béla hinüber.
»Dann hat er ja vier Tage lang sturmfreie Bude.«
»Wenn er die Gelegenheit beim Schopf packt«, sagte ich und grinste ebenfalls,
»ist er ein toter Mann. Ich finde schon einen, der das für mich übernimmt.«
»Brauchst gar nicht lange zu suchen«, antwortete Heinz.
»Kannst dich vertrauensvoll an mich wenden.«
Es war nur ein Scherz gewesen, von meiner Seite aus bestimmt nicht mehr. Ein kleines Geplänkel zwischen Freunden, die mehr voneinander wussten als gut war für den Seelenfrieden. Mit Heinz hatte ich offen reden können, immer und über alles, auch über die Sache auf dem Tisch. Mitte September, als ich innerlich noch nicht so ausgebrannt war, hatte ich ihm davon erzählt. Er hatte gelächelt und gefragt:
»Soll ich die Augen mal für dich offen halten? Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht rausfinden, wer das Weib war. Es war doch ein Weib, oder?«
Am vergangenen Sonntag war Heinz rasch wieder ernst geworden. Bevor er ging, hatte er gesagt:
»Bis Freitag dann. Ich komme auf jeden Fall. Meta hat neulich so eine komische Andeutung gemacht. Darüber sollten wir unbedingt einmal reden, aber in aller Ruhe, nicht jetzt.«
Meta ging in unserer Wohnung ein und aus, machte auch sauber, wenn ich nicht da war. Sie musste zwangsläufig mehr sehen als ich. Es lag nahe zu denken, dass Heinz herausgefunden hatte, mit wem Béla mich betrog, und es mir erzählen wollte. Hatte er sich nur im Tag geirrt? Unsinn, er war doch nicht senil gewesen. Und wie war er in die Wohnung gekommen? Béla musste ihn hereingelassen haben. Großer Gott, steh mir bei, dachte ich. Ich hörte, dass ein paar Leute die Treppe hinaufgingen. Offermann schickte endlich den alten Dussing heim und stellte weitere Fragen, wollte wissen, ob das Lokal gut lief.
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