Bélas Sünden
geheilt zu haben. Dass ich ihn anschaute, hatte andere Gründe. Es war einer von den Tagen, an denen ich es kaum erwarten konnte, mit ihm hinaufzugehen. Heinz schwieg ein paar Sekunden lang. Plötzlich legte er seine Hand auf meine, drückte meine Finger. Dann hob er den Kopf, schaute mich an und sagte schwerfällig:
»Wir beide hätten damals zusammenbleiben sollen, Lisa. Wir hätten uns eine Menge erspart. Meinst du nicht auch, es hätte mit uns funktionieren können? So schlecht war ich doch nicht, immerhin warst du ein paar Jahre zufrieden mit mir. Heute wärst du es vielleicht nicht mehr. Deine Ansprüche sind gestiegen, und jetzt, wo du berühmt wirst, brauchst du einen Mann, den du vorzeigen kannst.«
»Wer sagt dir, dass ich berühmt werde?«
Heinz zuckte mit den Schultern.
»Das hab ich im Gefühl. Du hast immer erreicht, was du dir in den Kopf gesetzt hast. Du hast genau die Portion an Hartnäckigkeit, Ehrgeiz und Egoismus, die man braucht, um das zu schaffen, was andere für unmöglich halten. Wart’s ab, bald kommen die Zeitungen und das Fernsehen. Und es ist ein Unterschied, ob du in einem Interview sagst, mein Mann ist Musiker. Das hat was, da denken alle; sieh an, zwei Künstler, sie haben bestimmt viele gemeinsame Interessen, kein Wunder, dass sie sich gut verstehen. Stell dir vor, du müsstest sagen, mein Mann arbeitet bei Rheinbraun. Da würden alle denken, du meine Güte, worüber unterhält sie sich denn mit dem?«
Heinz lachte, ein paar Leute schauten zu uns herüber.
»Aber wer weiß, vielleicht würden sie auch denken, ich wäre ein As im Bett. Irgendeinen Grund müsste es ja geben. Irgendeinen Grund gibt es immer, wenn zwei Leute zusammenbleiben, die nicht zueinander passen.«
Das war mein Stichwort. Ich konnte es nicht ignorieren, wo er es selbst auf den Tisch legte. Es ging mir nicht um den Roman, nur darum, dass er reden wollte, reden musste. Ich kannte ihn so gut.
»Und was für ein Grund ist es bei dir?«, fragte ich. Heinz zuckte noch einmal mit den Schultern und grinste.
»Es ist mehr als einer. Bei drei Kindern überlegt man sich das. Meinst du, das hätte ich damals nicht getan? Nicht nur überlegt, ausgerechnet habe ich es mir. Hast du eine Ahnung, was ich gezahlt hätte? Nein, Lisa, du hättest dein Leben lang im Drogeriemarkt an der Kasse sitzen müssen, ich hätte auf deine Kosten gelebt. Und das hättest du nicht lange mitgemacht. Unter dem Strich stand immer: Lass es, wie es ist, Heinz. Das habe ich getan, sonst wäre für mich selbst nichts geblieben. Und etwas will man schließlich vom Leben haben.«
»Und wenn es nur ein Motorrad ist«, sagte ich. Heinz grinste, meine Hand hatte er inzwischen losgelassen.
»Etwas mehr ist es schon.«
»Du hast eine Freundin?!«
Sein Grinsen verlor sich. Er wurde wieder melancholisch, stieß die Luft aus.
»Eine Freundin«, murmelte er. Und etwas lauter:
»Meine Freundin sitzt mir gerade gegenüber, und mehr als eine hatte ich nie. Was ich sonst noch habe, darf ich nicht als Freundin bezeichnen. Manchmal denke ich, ich sollte damit aufhören, solange ich noch genug Stolz habe, es zu schaffen. Eines Tages bricht es mir das Kreuz.«
»Das klingt bitter«, sagte ich. Heinz nickte.
»Es ist bitter. Ich hätte nie gedacht, dass ich so tief sinke.«
Nach einer kleinen Pause, in der er sich eine Zigarette anzündete, einmal tief inhalierte und den Rauch zur Decke hinaufblies, fuhr er fort:
»Kannst du dir vorstellen, dass ich dafür bezahle? Natürlich kannst du. Du kannst dir alles vorstellen, nicht wahr? Und du wirst dich damals ja auch gefragt haben, was ich tue, nachdem du mir einen Tritt gegeben hattest. Anfangs war es schlimm für mich. Wochenlang habe ich es mit Selbst-ist-der-Mann versucht. Eine traurige Angelegenheit. Ich war einfach nicht dran gewöhnt, weißt du. Ich hatte das vorher nie nötig gehabt.«
Er atmete tief durch.
»Irgendwann bin ich zum ersten Mal in den Puff gegangen, blieb mir ja nichts anderes übrig. Drei Kinder und eine Frau, die nicht will. Wenn mir das früher einer prophezeit hätte, den hätte ich für verrückt erklärt. Heinz Böhring muss zu einer Nutte gehen. Heinz Böhring, der sich die Frauen immer aussuchen konnte.«
Er versuchte noch einmal zu grinsen, es gelang ihm nicht mehr.
»Sogar seine schöne Nachbarin hat er ins Bett gekriegt, obwohl er zu dem Zeitpunkt schon verheiratet war. Und früher, ach, Lisa.«
Er winkte ab. Dann erzählte er mir von seinem ersten Motorrad. Vierzehn war
Weitere Kostenlose Bücher