Bélas Sünden
einer Kommilitonin teilte. Als wir
»Bélas Musikstübchen«
eröffneten, war sie bereits umgezogen. Sie kam auf eine Stunde vorbei, zusammen mit ihrer Freundin, um ein bisschen zu protzen. Mein Vater – das
»Stief«
davor ließ sie geflissentlich weg –, der hochtalentierte Musiker, und meine Mutter, die begnadete, leider noch unentdeckte Schriftstellerin. Ich hatte das Gefühl, Sonja nicht mehr zu kennen. Was war aus meinem Mädchen geworden, das mit elf Jahren um friedliche Nachmittage kämpfte? Das zu Weihnachten in Spitzenkleid und Lackschuhen Muttis Freund begutachtete? Wie sie da am Eröffnungsabend vor dem Tresen saß, neunzehn Jahre alt, erwachsen und sehr von oben herab. Wie sie plötzlich nach meinem Arm griff.
»Ach, Mama, ich hab ein kleines Problem.«
Hundert Mark reichten, um ihr Problem zu lösen, von Béla noch einmal die gleiche Summe. Aber das erfuhr ich erst ein paar Tage später. Heinz war natürlich auch da. Später, als der größte Rummel vorüber war, ging ich mit ihm hinauf in die Wohnung. Sonja und ihre Freundin hatten sich bereits verabschiedet. Heinz wollte sich anschauen, wohin er den Kamin bauen sollte. Es gab Bausätze dafür, und das Wohnzimmer war groß genug. Natürlich schaute er sich auch die anderen Räume an. Getrennte Schlafzimmer. Ich weiß nicht mehr, wer von uns beiden die Idee hatte, Béla oder ich. Aber wir glaubten beide, dass es nach acht Jahren eine Bereicherung für unsere Beziehung sein könnte. Etwas, das nicht unentwegt zur Verfügung stand, stieg im Wert. Ich wartete darauf, dass Heinz eine Bemerkung zu den Schlafzimmern machte. Das tat er nicht. So sprachen wir über meine Zukunftspläne. Um das Lokal musste ich mich nicht kümmern. Béla hatte ausreichend Personal eingestellt, drei Kellner, einen nur für den Tresen. Einen Koch, Küche gab es auch, und um die Putzstelle hatte Meta sich beworben. Ich hatte viel Zeit zum Schreiben, hatte auch noch einen Rest Hoffnung, trotz all der Absagen. Ich war in melancholischer Stimmung, als ich mit Heinz durch die großen Räume ging. So viel Platz für zwei Personen. Die Böhrings hatten nicht einmal die Hälfte für fünf. Metas winzige Küche, in der meine Tochter groß geworden war. Marions kleines Zimmer, in dem Sonja so viele Nächte verbracht hatte, dass man sie nicht mehr zählen konnte. Heinz trat auf den Balkon hinaus, nachdem wir wieder im Wohnzimmer angekommen waren. Er schaute in den Garten hinunter, der noch wüst aussah, überall Dreck, keine Spur von dem Rasen, der dort wachsen sollte. Dann drehte Heinz sich zu mir um und meinte.
»Sieht aus, als hättest du es geschafft, Lisa.«
Ich lachte.
»Noch nicht ganz. Geschafft habe ich es, wenn ich mein erstes Buch in der Hand halte.«
Heinz lachte ebenfalls.
»Du kriegst nie genug. Wenn du es in der Hand hältst, muss es sich auch gut verkaufen. Und dann kommt das zweite und das dritte. Und nach dem fünften oder sechsten gibt es immer noch etwas, was du noch nicht hast.«
Dann legte er mir den Arm um die Schultern.
»Gehn wir wieder nach unten, bevor Béla auf dumme Gedanken kommt.«
»Aber doch nicht bei dir«, sagte ich. Heinz zuckte mit den Achseln und grinste.
»Weiß man’s?«
Warum konnten wir nicht bleiben, was wir waren? Liebe, nette Nachbarn, die vor langen Jahren zu Silvester mit der Pfirsichbowle auf einen milden Winter anstießen. Die sich beim Tanzen ein wenig beflirteten und dabei noch genau wussten, wo die Grenzen waren. Anfang Mai, gut drei Monate bevor ich den Geflügelsalat mit Salmonellen zu mir nahm und anschließend feststellen musste, dass mein Mann doch nicht völlig immun gegen die Reize anderer Frauen geworden war, hatte ich einen neuen Roman begonnen. Ich hatte es geschafft. Mein erstes Buch war erschienen und schon nach drei Wochen auf Platz achtzehn der Bestenliste gestiegen, ein Riesenerfolg. Mit Beginn des nächsten Jahres erwartete Dierk Römer das Manuskript für den zweiten Beststeller. Er plante ihn fest ein und setzte auf meine Zuverlässigkeit. Ich traute mir auch zu, in sieben Monaten einen kompletten Roman zu verfassen. An einer Schreibmaschine saß ich nämlich nicht mehr, sondern am Computer. Da ging das alles etwas schneller. Und so ein Computer hat noch einen weiteren Vorteil. Es liegt kein Papier herum, auf dem die Putzfrau zufällig über etwas stolpern kann, was ihr bekannt vorkommt. In meinem neuen Roman sollte die Hauptfigur nämlich ein Mann sein. Ein enttäuschter, verbitterter, gedemütigter,
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