Bélas Sünden
er gewesen, hatte die Kiste auf einem Schrottplatz aufgestöbert und sie in einer Garage mit zusammengebettelten Ersatzteilen wieder flott gemacht. Viel zu jung für den Führerschein, aber er hatte genug Mumm in den Knochen, um sich nachts mit der Maschine auf die Straße zu wagen und den Mädchen zu imponieren. Verrückt waren sie nach ihm gewesen. Keine hatte sich vorstellen können, dass er noch so jung war. Er wurde dann ja auch älter. Und für ihn war es undenkbar gewesen, sich an eine Einzige zu binden. Zwölf Jahre lang war er ein freier Mann, ganz und gar frei. Seine wilde Zeit, nannte er das. Dann ein schlimmer Unfall, das linke Bein so kaputt, dass die Ärzte dachten, sie müssten amputieren. Aber sie hatten es doch wieder zusammenflicken können. Sogar tanzen konnte er damit.
»Ich spüre es hin und wieder noch«, sagte er.
»Wenn das Wetter umschlägt, weiß ich oft nicht, wohin damit. Wenn es wenigstens richtige Schmerzen wären, aber es ist nur ein lästiges Gefühl, ganz komisch.«
Ein halbes Jahr lang hatte er damals im Krankenhaus gelegen. Da hatte er Meta kennen gelernt.
»Es ging mir ziemlich dreckig«, sagte er.
»Ich dachte, jetzt bin ich ein Krüppel. Und sie war – ganz anders als die Mädchen, die ich kannte. Ruhig und kühl war sie. Man hatte das Gefühl, sie steht über den Dingen. Sie hatte eine Menge zu tun auf der Station, aber sie hatte trotzdem immer Zeit, sich für ein paar Minuten neben ein Bett zu setzen. Nicht nur neben meins. Und dann machte sie einem klar, dass noch nicht alles vorbei ist. Sie hat mir Mut gemacht. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ich vielleicht die Schlaftabletten gesammelt, die sie mir abends gaben.«
Er schaute mich an, als wisse er nicht, wie er mir das alles erklären sollte. Nach ein paar Sekunden sprach er weiter:
»Sie sah gut aus. So hast du sie ja gar nicht gekannt, Lisa. Immer schick, tolle Frisur. Sie hatte das Haar damals hellblond gefärbt und trug es schulterlang. Wenn sie Dienstschluss hatte, kam sie oft nochmal ins Zimmer ohne den weißen Kittel. Traumhaft sah sie aus, wenn sie sich zurecht gemacht hatte. Da lag ein alter Mann bei mir im Zimmer, der sagte oft: Und ein Engel tritt durch die Tür.«
Heinz nickte versonnen vor sich hin, lächelte wehmütig.
»Als das Bein so weit wieder in Ordnung war«, fuhr er fort,
»kam sie immer, um mich zu massieren. Es war ein bisschen steif, weißt du. Sie fing unten an und arbeitete sich hoch. Und irgendwann war sie ganz oben. Sie hatte einen Griff, kann ich dir sagen.«
Das Bein massieren, dachte ich, Sonja hatte einmal davon gesprochen. Béla nannte es füttern. Es hatte wohl jeder einen speziellen Ausdruck, den nur zwei Menschen als das erkannten, was er war. Die Frage, die Aufforderung. Mich hatte er nie gebeten, ihm das Bein zu massieren. Mir hatte er nicht einmal erklärt, woher die Narben stammten. Ich hatte ihn danach gefragt, mehr als einmal. Jedes Mal hatte er geantwortet:
»Da hat Amor ein paar Mal daneben geschossen, aber richtig getroffen hat er am Ende doch.«
In dem Moment wurde mir klar, dass Meta ihm einmal sehr viel bedeutet haben musste.
»Sie ging ganz schön ran«, sagte er.
»Manchmal wusste ich gar nicht, ob ich mir schon die Zunge abgebissen hatte oder nicht. Da lagen ja noch zwei im Zimmer, die durften nicht merken, was vorging. Meta machte ein Gesicht dabei, irgendwie komisch, so nüchtern, fast schon kalt, als ob sie nur etwas untersuchen muss, was sie persönlich nicht interessiert. Und ich dachte, sie hat Feuer und eine eiserne Selbstbeherrschung. Da siehst du, wie der Mensch sich täuschen kann.«
Das wehmütige Lächeln verlor sich, seine Stimme klang ein wenig straffer.
»Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wollte sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Aber so schnell gab Heinz Böhring damals nicht auf. Ich hab nicht locker gelassen. Ich Idiot habe nicht begriffen, warum sie plötzlich so abweisend war. Ich bin nicht mal auf den Gedanken gekommen, dass sie einen anderen hat. Ich meine, warum machte sie so was mit mir, wenn sie jemanden hat, mit dem sie…«
Er brach ab und schüttelte den Kopf, als könne er es immer noch nicht fassen, sprach in gedämpftem Ton weiter:
»Irgendwann gab sie nach, war wenigstens bereit, mal mit mir auszugehen. Vielleicht nur, weil der andere ihr gut zugeredet hatte. Vielleicht dachten sie, sie würden mich auf diese Weise los. Wir sind ins Kino gegangen, das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen. Ich saß
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