Bélas Sünden
tat mir entsetzlich Leid, aber ich musste doch wissen, was in meinem Schlafzimmer geschehen war, wer Heinz erschossen hatte.»War Béla allein?«
Sie schüttelte wieder den Kopf. Ebenso gut hätte sie mir einen Schlag in die Magengrube versetzen können. Ich wusste es, natürlich wusste ich es, vermutete es zumindest. Aber es bestätigt zu bekommen. Meine Stimme war so kurzatmig, als drücke mir jemand die Kehle zusammen.»War Sonja bei ihm?«
Marion murmelte:»Das kann doch gar nicht sein.«
Also galt das Kopfschütteln nicht meiner Frage. Ich versuchte es noch einmal.»Marion, als du bei uns warst, war Sonja da?«
Nur dieses Kopfschütteln, von dem ich nicht wusste, ob es Antwort auf meine Frage oder Verneinung des Todes sein sollte. Nach ein paar Sekunden flüsterte sie:»Béla stand in der Diele, als ich reinkam. Er telefonierte mit dir. Dann sagte er, er fährt lieber zu Andreas. Wenn er sich hinlegt, hört er den Wecker nicht.«
Sie war also dazugekommen, als ich mit ihm sprach. Zeitlich kam das hin. Dann hatte vielleicht sie das Rascheln von Stoff verursacht, das ich durchs Telefon hörte. Aber trotzdem konnte Sonja da gewesen sein – in meinem Schlafzimmer. Wenn die Tür geschlossen war, konnte Marion sie nicht sehen. Mir erzählte er, er wolle sich hinlegen und ein bisschen auf Vorrat schlafen, was er nicht eine Sekunde lang vorhatte. Hinlegen schon, zu meiner Tochter in mein Bett. Vermutlich war das ihre Idee gewesen. Das Tüpfelchen auf dem i, mit Mamas Mann in Mamas Bett. Dass junge Frauen so unerbittlich und grausam sein können.»Hat Béla gesagt, du sollst gehen?«
Marion starrte mich an, als habe sie nicht verstanden. Ich wiederholte die Frage, da senkte sie den Kopf und nickte.»Ich sollte eigentlich noch die Blumen gießen und mal über die Glastüren der Vitrine wischen. Das hatte Mama vergessen. Ich hatte auch noch Zeit, der Film fing erst um acht an. Aber Béla wollte nicht, dass ich was tue. Er sagte, nicht ich werde bezahlt für die Arbeit, sondern Mama. Da soll sie die Arbeit auch gefälligst selbst machen.«
Sie sprach wie in Trance, zeichnete mit einem Finger Muster auf das Bettzeug zwischen ihren Beinen.»Er hat mir die Sachen vom Arm gerissen und gesagt, ich soll Mama einen schönen Gruß bestellen. Wenn sie die Arbeit nicht mehr schafft, soll sie es sagen. Dann sucht er sich eine andere Putzfrau.«
»Hast du Sonjas Auto gesehen?«
»Béla ist weggefahren«, flüsterte sie.»Und ich bin ins Kino gegangen. Ich war im Kino, als Papa…«
»Béla ist weggefahren?«, fragte ich.»Bist du ganz sicher?«
Ich weiß, es muss herzlos klingen. Der einzige Mensch, der immer für sie da gewesen war, war auf dem Weg in die Gerichtsmedizin, und ich quälte sie mit Fragen. Ich wollte sie ja auch in den Arm nehmen, etwas sagen, um sie zu trösten. Aber mir fiel nichts ein, und ich musste doch wissen, wer Heinz erschossen hatte. Mein Mann oder meine Tochter. Marion nickte und murmelte.»Wir sind zusammen aus dem Haus gegangen.«
Ich hatte keinen Boden mehr unter den Füßen. Ich konnte doch mein Kind nicht ans Messer liefern. Und wenn Sonja hundertmal ein Miststück und ein Biest war. Sie war so begabt, sie hatte Zukunft und ich nur so wenig Hoffnung. Ich wollte Marion noch einmal fragen, ob sie Sonjas Auto gesehen hätte. Dazu kam ich nicht mehr. Die Tür wurde aufgerissen. Plötzlich war Meta hinter mir, griff nach meiner Schulter und versuchte, mich zur Tür zu ziehen. Hinter mir machte Offermann sich bemerkbar:»Fräulein Böhring, wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«
Marion starrte ihn an und flüsterte:»Stimmt es, was Lisa gesagt hat, ist Papa wirklich tot?«
»Ja«, sagte Offermann. Er wollte scheinbar noch etwas hinzufügen. Doch Marion begann auf dem Bett zu wippen, als säße sie auf einem Schaukelpferd. Sie wippte ein paar Mal vor und zurück, so heftig, dass sie mit dem Hinterkopf gegen die Wand schlug. Dann schrie sie los, immer nur ein Wort:»Nein! Nein! Nein!«
Meta nahm die Hand von meiner Schulter, war mit einem Schritt am Bett und saß auch bereits neben ihr, nahm ihre Tochter in die Arme, so behutsam, als zöge sie einen zerbrechlichen Gegenstand an ihre Brust. Es war so ein ungewohntes Bild. Metas raue Hände auf dem blonden Haar, das alte, verwaschene Nachthemd dicht bei dem schicken Sweatshirt. Metas Stimme, das monotone:»Ist gut. Ist ja gut. Ist ja alles gut.«
Wann würde ich so sitzen? Genauso!»Ist ja gut.«
Nichts war gut. Sonja war erwachsen!
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