Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bell ist der Nächste

Bell ist der Nächste

Titel: Bell ist der Nächste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Dolan
Vom Netzwerk:
auf seine alte Highschool blicken können.
    Dennoch reichten die Zäune und Mauern wohl aus, um ihn von Terry Dawtrey fernzuhalten. Theoretisch konnte er die Sache durchziehen, wenn ein Dutzend Dinge für ihn arbeiteten. Er konnte sich ein Gewehr mit hoher Durchschlagskraft zulegen. Er konnte sich in dem flachen, konturlosen Gelände rund um das Gefängnis irgendeine Deckung suchen. Und warten, bis Dawtrey eines Tages durch das Tor herausmarschiert kam.
    Lark dachte in seinem Hotelzimmer über das Problem nach, während er dalag und sich Eis an die Stirn presste. Es gab noch eine Alternative. Er konnte sich irgendeinen Vorwand ausdenken, um Dawtrey zu besuchen. Er konnte durch das Tor gehen und sich durchsuchen lassen. Sie würden ihn in einen Raum mit farblosen Betonwänden führen. Einen gewöhnlichen Raum mit vielen Tischen, voller Ehefrauen von Insassen und unruhiger Kinder. Er würde Dawtrey an einem Tisch gegenübersitzen. Zwischen ihnen wäre keine Glasscheibe, nicht wie in den Filmen. Er hätte keine Waffe, aber er würde auch nur etwas Spitzes brauchen – einen Bügel, den er von einem Brillengestell abbrach. Das könnte funktionieren.
    Aber zurück käme er an den Wachen nicht mehr vorbei. Das Ganze wäre eine Einbahnstraße.
    Ein schwieriges Problem. Er musste noch intensiver darüber nachdenken. Er schaltete den Fernseher ein und zappte herum. Krimiserien, Dauerwerbesendungen, Nachrichten. Er suchte eigentlich gar nicht nach der Frau, aber auf CNN erwischte er sie doch. Manchmal passierte das. Sie stand auf einem Podium, und um sie herum hatte sich eine Menschenmenge gebildet. Junge Leute, die Schilder hochhielten. Sie war gebräunt, so weit das eben ging, wenn man in Michigan lebte. Ihr Haar war wie schwarze Seide, und sie trug es kurz und modisch geschnitten.
    Er hatte den Ton auf stumm gestellt, sodass er nicht hörte, was sie sagte, aber es war auch kaum von Bedeutung. Sie lächelte, die Leute applaudierten und schwenkten ihre Schilder. Dieses Lächeln war erstaunlich, ließ sie fröhlich und gleichzeitig spitzbübisch wirken, während sie sonst streng und reserviert erscheinen konnte. Er erinnerte sich an etwas, das er einmal gehört hatte: Dieses Lächeln allein sollte ihr schon zehn Punkte bei den Umfragewerten einbringen.
    Sie zu sehen half. Auch das Eis half. Es kühlte den Schmerz hinter seiner Stirn. Er war versucht, am nächsten Morgen auszuchecken und Richtung Süden nach Ann Arbor zu fahren. Das würden die meisten Leute tun. Den einfacheren Weg wählen. Erst mal Kormoran und Bell erledigen. Sich Dawtrey für zuletzt aufheben. Die Konfrontation mit dem Problem noch mal aufschieben. Aber so war er nicht erzogen worden. Erledige das Schwierigste zuerst, hatte sein Vater immer gesagt.

    Am Abend des darauffolgenden Tages fand sich Anthony Lark in einer Stadt namens Brimley an der Küste der Whitefish Bay wieder, fünfundzwanzig Kilometer südwestlich von Sault Sainte Marie. Er aß im Cozy Inn zu Abend, einem Restaurant, das sich auf Touristen spezialisiert hatte. Er saß an einem Tisch in der Ecke und hielt den Blick auf einen alten Mann gerichtet, der sich auf einem Barhocker niedergelassen hatte.
    Lark wusste, dass es in Brimley Chippewa-Indianer gab. Sie betrieben das Bay Mills Casino, die Hauptattraktion der Gegend. Der alte Mann an der Bar sah aus, als hätte er Chippewa- Blut. Er hatte ein wettergegerbtes Gesicht mit tiefen senkrechten Furchen, so ein Gesicht, wie man es in eine Klippenwand gehauen finden könnte. Er war stämmig und hatte Gliedmaßen, die einst kräftig und rund gewesen sein mochten – bevor die Jahre sie schwächer hatten werden lassen.
    Lark wusste, wie der Mann hieß. Er hatte den Namen im Telefonbuch von Brimley gefunden und ihn mit seinem Watermanfüller in das Notizbuch eingetragen.
    Der Mann wohnte in einer schlichten Blockhütte nicht weit vom Ufer des Lake Superior entfernt. Eigentlich bloß eine Holzbaracke, eine von zwanzig ihresgleichen, die im Wald verstreut lagen, verbunden durch ein Gewirr von ungepflasterten Wegen. Jetzt im Sommer war es ein schöner Ort zum Leben, dort im Schatten alter Birken. Im Winter, dachte Lark, war es die Hölle.
    Er hatte um die Mittagszeit eine Stunde in der Hütte verbracht. Unter einem Blumenkübel auf der vorderen Veranda hatte er einen Schlüssel entdeckt. Der alte Mann war bei der Arbeit gewesen. Eine Schublade voller Lohnabrechnungen hatte alles verraten: Er arbeitete im Casino, wahrscheinlich in der Putzkolonne. Sein

Weitere Kostenlose Bücher