Belladonna
gelaunt, als er sagte: «Sagen wir gegen zehn?»
Jeffrey notierte das Treffen in seinem Terminkalender, als Lena eintrat. Sobald er aufsah, redete sie los.
«Er nimmt aber keine Drogen mehr.»
«Was?»
«Zumindest glaube ich es nicht.»
Jeffrey verstand nicht und schüttelte den Kopf. «Wovon reden
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Sie eigentlich?»
Mit gesenkter Stimme antwortete sie: «Von meinem Onkel Hank.» Sie streckte ihm die Unterarme entgegen.
«Oh.» Jetzt verstand Jeffrey endlich. Er war sich nicht sicher gewesen, ob Hank Norton ein ehemaliger Drogensücht iger war oder die Narben an den Armen eventuell alte Brandwunden.
«Ich hab gesehen, dass sie alt sind.»
Sie sagte: «Er war ein Speed Freak, okay?»
Ihr Ton war feindselig. Jeffrey nahm an, dass sie darüber gebrütet hatte, seit sie in Nan Thomas' Haus zurückgeblieben war. Das waren also schon zwei Dinge, derentwegen sie sich schämte: die Homosexualität ihrer Schwester und die ehemaligen Drogenprobleme ihres Onkels. Jeffrey fragte sich, ob es außer ihrem Job überhaupt etwas in Lenas Leben gab, das ihr Freude machte.
«Was?», hakte Lena nach.
«Nichts», sagte Jeffrey und stand auf. Er nahm seine Jacke vom Haken hinter der Tür und schob Lena aus dem Büro hinaus.
«Haben Sie die Liste?»
Sie wirkte irritiert davon, dass er sie offenbar wegen der ehemaligen Drogensucht ihres Onkels nicht tadeln wollte.
Sie reichte ihm ein Blatt aus einem Notizblock. «Das hier haben Nan und ich gestern Abend zustande gebracht. Eine Liste von Leuten, die mit Sibyl zusammengearbeitet haben, die vielleicht noch mit ihr geredet haben könnten, bevor sie...» Lena beendete den Satz nicht.
Jeffrey schaute auf das Blatt. Sechs Namen standen dort. Ein Name war mit einem Sternchen versehen. Lena schien mit der Frage gerechnet zu haben.
Sie sagte: «Richard Carter ist ihr GTA. Graduate Teaching Assistant. Sie hatte eine Vorlesung um neun Uhr. Mal abgesehen von Pete ist er wahrscheinlich der Letzte, der sie
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noch lebend gesehen hat.»
«Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor», sagte Jeffrey und schlüpfte in sein Jackett. «Er ist der einzige Student auf der Liste?»
«Ja», antwortete Lena. «Und außerdem ist er irgendwie unheimlich.»
«Das heißt?»
«Ich weiß auch nicht.» Sie zuckte die Achseln. «Ich mochte ihn jedenfalls noch nie.»
Jeffrey hütete seine Zunge, weil er daran dachte, dass Lena kaum einen Menschen mochte und ihre Antipathie keinen Mordverdacht rechtfertigte.
Dann sagte er: «Fangen wir mit Carter an und reden danach mit dem Dekan.» Am Eingang hielt er ihr die Tür auf. «Der Bürgermeister kriegt einen Herzanfall, wenn wir im Umgang mit den Professoren nicht das Protokoll wahren. Studenten sind eher Freiwild.»
Der Campus des Grant Institute of Technology bestand aus einem Studienzentrum, vier Gebäuden mit Unterrichtsräumen, dem Verwaltungskomplex und einem Flügel für das
Landwirtschaftsstudium, das von
einem dankbaren
Saatguthersteller gestiftet worden war. Üppige Grünanlagen grenzten auf der einen Seite an die Universität, an die andere reichte der See heran. Die Studentenunterkünfte waren von allen Gebäuden unschwer zu Fuß zu erreichen, und das Fahrrad war das meistverbreitete Transportmittel auf dem Campus.
Jeffrey folgte Lena in den dritten Stock des
Unterrichtsgebäudes der Naturwissenschaften. Sie hatte den Assistenten ihrer Schwester offenbar bereits früher schon getroffen, denn Richard Carters Gesicht verdüsterte sich, als er Lena an der Tür erkannte. Er war ein kleiner Mann, dem
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allmählich die Haare ausfielen. Er trug eine schwere dunkle Brille und einen zu engen Laborkittel über einem grellgelben Oberhemd. Er wirkte so typisch verklemmt wie die meisten Collegetypen. Das Grant Institute of Technology war schlicht und einfach ein Lehrinstitut für Hohlköpfe. Englischkurse waren Pflicht, aber nicht gerade schwierig. Die Uni war mehr darauf ausgerichtet, Patente zu produzieren, als darauf, sozial verant wortungsvolle und kultivierte Frauen und Männer heranzubilden. Das war das größte Problem, das Jeffrey mit dem Institut hatte. Die meisten Professoren und alle Studenten hatten die Nase so tief im eigenen Arsch stecken, dass sie die Welt vor ihren Augen nicht mehr sahen.
«Sibyl war eine brillante Wissenschaftlerin», sagte Richard.
Er beugte sich über ein Mikroskop, murmelte etwas vor sich hin und hob wieder den Kopf. Zu Lena sagte er: «Sie besaß ein erstaunliches Gedächtnis.»
«Das brauchte
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