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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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Abzug. Lena spürte, wie ihr kalter Schweiß ausbrach, und auf einmal konnte sie nicht mehr mit Gewissheit sagen, ob die Waffe gesichert war oder nicht. Mit Bestimmtheit konnte sie jedoch sagen, dass bereits eine Patrone in der Kammer war.
    Wenn sie entsichert war, genügte ein leichter Druck auf den Abzug, und der Schuss ging los.
    Lena gab sich große Mühe, besonnen zu klingen. «Was denn, Liebes? Was verstehe ich nicht?»
    Julia richtete die Waffe jetzt auf den eigenen Kopf. Sie hantierte sehr ungeschickt damit und hätte sie beinahe fallen gelassen, bevor sie den Lauf gegen ihr Kinn presste.
    «Tun Sie das nicht», bat Lena inständig. «Bitte geben Sie mir die Waffe. In der Kammer ist eine Patrone.»
    «Ich kenne mich mit Waffen aus.»
    «Julia, bitte», sagte Lena, die wusste, dass sie die junge Frau zum Weiterreden bringen musste. «Hören Sie mir zu.»
    Ein Lächeln trat auf ihre Lippen. «Mein Daddy hat mich immer mit auf die Jagd genommen. Und ich durfte auch dabei helfen, die Gewehre zu reinigen.»
    «Julia -»
    «Als ich dort war.» Sie unterdrückte ein Schluchzen. «Als ich
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    mit ihm zusammen war.»
    «Mit dem Mann. Mit dem Mann, der Sie gewaltsam entführt hat?»
    «Sie wissen ja gar nicht, was er getan hat», sagte sie, und die Wörter blieben ihr beinahe im Hals stecken. «Das, was er mit mir gemacht hat. Ich kann es Ihnen nicht sagen.»
    «Es tut mir so Leid», sagte Lena. Sie wollte nach vorn gehen, aber in Julia Matthews' Blick war etwas, das sie wie angewurzelt stehen bleiben ließ. Auf die junge Frau loszugehen kam absolut nicht in Frage.
    Lena sagte: «Ich werde es nicht zulassen, dass er Ihnen nochmal wehtut, Julia. Das verspreche ich.»
    «Sie verstehen nicht», schluchzte die junge Frau und schob die Waffe langsam bis zur Unterlippe. Sie vermochte die Waffe kaum zu halten, aber Lena wusste, dass dies ohne Bedeutung war.
    «Bitte tun Sie das nicht», sagte Lena und ließ den Blick zur Tür wandern.
    Jeffrey befand sich auf der anderen Seite im Flur, und vielleicht konnte sie ihn irgendwie alarmieren, ohne dass Julia es merkte.
    «Machen Sie das nicht», sagte Julia, als könne sie Lenas Gedanken lesen.
    «Sie müssen es nicht tun», sagte Lena. Sie gab sich alle Mühe, mit fester Stimme zu sprechen, aber in Wahrheit hatte sie von dieser Art Situation bisher nur in Handbüchern gelesen. Sie hatte noch nie jemandem ausgeredet, sich selbst umzubringen.
    Julia sagte: «Wie er mich angefasst hat. Wie er mich geküsst hat.» Ihre Stimme brach. «Sie wissen es einfach nicht.»
    «Was?», fragte Lena. Langsam bewegte sie die Hand auf die Waffe zu. «Was weiß ich nicht?»
    «Er -» Sie hielt inne und gab nur einen kehligen Laut von
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    sich. «Er hat Liebe mit mir gemacht.»
    «Er -»
    «Er hat Liebe mit mir gemacht», wiederholte sie. Die Flüstertöne hallten im Raum wider. «Wissen Sie, was das bedeutet?», fragte sie. «Er hat immer wieder gesagt, dass er mir nicht wehtun wollte. Dass er nur mit mir Liebe machen will. Das tat er dann auch.»
    Lena merkte, dass sie die Lippen bewegte, aber sie wusste nichts zu sagen. Sie konnte doch nicht hören, was sie zu hören glaubte. «Was sagen Sie da?», fragte sie und war sich ihres scharfen Tonfalls bewusst. «Was meinen Sie denn damit?»
    «Er hat mit mir Liebe gemacht», wiederholte Julia. «Die Art, wie er mich berührte.»
    Lena schüttelte den Kopf, als wollte sie diese Worte vertreiben. Sie konnte kaum verhehlen, wie fassungslos sie war, als sie fragte: «Wollen Sie damit sagen, dass Sie Gefallen daran fanden?»
    Mit einem Knacken entsicherte Julia die Waffe. Lena war vor Schreck so erstarrt, dass sie sich nicht bewegen konnte, aber sie erreichte Julia doch noch, Sekunden bevor die junge Frau auf den Abzug drückte. Lena blickte hinunter und sah Julia Matthews' Kopf explodieren.

    Die Wasserstrahlen der Dusche waren wie Nadelstiche auf Lenas Haut. Sie spürte den brennenden Schme rz, aber er war ihr nicht unangenehm. Sie war völlig empfindungslos, im Inneren wie abgestorben. Ihre Knie gaben nach, und Lena ließ sich in die Wanne rutschen. Sie zog die Knie an die Brust und schloss die Augen. Das Wasser prasselte ihr auf die Brust und das Gesicht.
    Sie beugte den Kopf vor, fühlte sich wie eine kraftlose Puppe.
    Das Wasser drosch auf ihren Kopf, brannte auf ihrem Nacken, aber sie ließ es einfach geschehen. Ihr Körper gehörte nicht mehr zu ihr. Sie war leer. Sie wusste nichts, was in ihrem Leben
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    noch von Bedeutung war, weder ihr

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