Belladonna
solltest...»
«Vielleicht», murmelte sie an ihrem Finger vorbei. Sie schmeckte Blut und war überrascht, als sie sah, dass es ihr eigenes war. Die Nagelhaut hatte sich gelöst, und ein hellroter Fleck breitete sich an der Stelle aus.
Hank stand auf, sah sie an und griff nach seiner Jacke auf der Stuhllehne. Sie hatten eine solche Situation bereits oft erlebt, wenn auch zugegebenermaßen nicht von dieser Intensität. Es war ein altes, ihnen wohlvertrautes Ritual, und beide kannten sie den Ablauf. Hank ging einen Schritt vor, Lena machte zwei Schritte zurück. Jetzt war nicht der Zeitpunkt, das Ritual zu verändern.
Er sagte: «Du kannst mich anrufen, wenn du mich brauchst.
Das weißt du doch, oder?»
«Mhmhm», flüsterte sie zwischen zusammengepressten
Lippen. Sie war kurz davor, wieder in Tränen auszubrechen, aber sie wusste auch, dass sie ihre Selbstachtung ganz verlor, wenn sie noch einmal vor Hanks Augen zusammenbrach.
Er schien das zu ahnen, denn er legte ihr die Hand auf die Schulter und küsste sie oben aufs Haar.
Lena hielt den Kopf gesenkt und wartete auf das Geräusch der sich schließenden Eingangstür. Sie seufzte tief und anhaltend, als sie hörte, wie Hanks Wagen in der Auffahrt zurücksetzte.
Der Kessel dampfte, hatte aber noch nicht zu pfeifen
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begonnen. Lena mochte Tee nicht besonders, aber sie kramte dennoch in den Schränken, um einen Beutel zu finden. Sie stöberte einen ganzen Karton mit Pfefferminztee auf, als an die Hintertür geklopft wurde.
Sie erwartete Hank zu sehen, und deswegen war sie
überrascht, als sie die Tür öffnete.
«Oh, hallo», sagte sie und rieb sich das Ohr, als ein schrilles Geräusch ertönte. Ihr wurde klar, dass der Teekessel pfiff, und sie sagte: «Einen Moment...»
Sie stellte die Gasflamme ab, als sie jemanden hinter sich spürte, und dann fü hlte sie einen stechenden Schmerz im linken Oberschenkel.
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SIEBZEHN
Sara stand an der Leiche von Julia Matthews und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Aufmerksam betrachtete sie die junge Frau, versuchte sie aus klinischer Sicht einzuschätzen und zudem die Frau, deren Leben Sara gerettet hatte, von der toten Frau zu trennen, die vor ihr auf dem Tisch lag. Der Schnitt, den Sara gemacht hatte, um an Julias Herz heranzukommen, war noch nicht verheilt, und der Faden war an der Naht von schwarzem Blut verkrustet. Ein kleines Loch war unter dem Kinn der Frau zu erkennen. Versengte Stellen um die Eintrittswunde verrieten, dass der Lauf der Waffe gegen das Kinn gepresst worden war, als sie abgefeuert wurde. Ein klaffendes Loch am Hinterkopf der jungen Frau verriet die Stelle, wo die Kugel ausgetreten war. Wie makabrer Schmuck an einem blutigen Weihnachtsbaum hingen Knochensplitter aus dem offenen Schädel herab. Der Geruch von Schießpulver hing in der Luft.
Die Leiche von Julia Matthews lag auf dem Autopsietisch aus Keramik fast so, wie Sibyl Adams vor ein paar Tagen dort gelegen hatte. Am Kopf des Tisches befand sich ein
Wasserhahn, an dem ein schwarzer Gummischlauch angebracht war. Darüber hing eine Organwaage, die sich nicht sonderlich von jenen Waagen unterschied, mit denen Händler Obst und Gemüse abwiegen. Neben dem Tisch befand sich das
Handwerkszeug für eine Autopsie: ein Skalpell, ein ungefähr fünfunddreißig Zentimeter langes Parenchymmesser mit speziell geschärfter Klinge, eine auf ähnliche Weise geschärfte Schere, eine Pinzette, auch ‹Schnapper› genannt, eine Knochensäge und eine Rippenschere, eine Art Rosenschere mit langen Griffen, wie man sie normalerweise in der Garage neben dem
Rasenmäher findet. Cathy Linton besaß eine ähnliche Schere,
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und immer wenn Sara ihre Mutter beim Beschneiden der Azaleen sah, musste sie daran denken, wie sie die Schere im Leichenschauhaus benutzte, um den Brustkorb aufzuschneiden.
Fast wie automatisch bereitete sie schrittweise die Leiche von Julia Matthews zur Autopsie vor. Mit den Gedanken war sie woanders, dachte an den Abend zuvor, als Julia Matthews auf Saras Wagen gelegen hatte, als die junge Frau noch am Leben gewesen war und eine Chance gehabt hatte.
Sara hatte bis jetzt nie Schwierigkeiten damit gehabt, eine Autopsie zu machen. Der Tod hatte sie nie aus dem
Gleichgewicht gebracht. Eine Leiche zu öffnen war, wie ein Buch aufzuschlagen; aus Gewebe und Organen gab es so viel zu erfahren. Im Tod stand der Körper für eine gründliche Beurteilung zur Verfügung. Zum Teil hatte Sara die Arbeit als Leichenbeschauerin
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