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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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kaum in der Lage war, den eigenen Worten zu folgen.
    Lena legte den Kopf in die Hände. Sie hörte, wie Hank den Kessel füllte und der Gasherd mit dem Klicken des elektrischen Zünders ansprang.
    Hank setzte sich ihr gegenüber und verschränkte die Hände.
    «Bist du okay?», fragte er.
    «Ich weiß nicht», antwortete sie. Es hörte sich an, als käme ihre Stimme aus weiter Ferne. Die Waffe war dicht an ihrem Ohr losgegangen. Das Klingen im Ohr hatte zwar schon vor einer Weile aufgehört, aber alle Geräusche waren noch immer wie ein dumpfer Schmerz.
    «Weißt du, was ich glaube?», fragte Hank und lehnte sich auf seinem Stuhl nach hinten. «Erinnerst du dich noch, wie du von der Vorderveranda gefallen bist?»
    Lena starrte ihn nur an, denn sie verstand nicht, worauf er hinauswollte. «Ja, und?»
    «Na ja.» Er zuckte die Achseln und lächelte aus irgendeinem Grund. «Sibyl hat dich geschubst.»
    Lena bezweifelte, dass sie ihn richtig verstanden hatte.
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    «Was?»
    «Sie hat dich geschubst. Ich hab's gesehen», versicherte er.
    «Sie hat mich von der Veranda gestoßen?» Lena schüttelte den Kopf. «Nein, sie hat versucht, mich vorm Fallen zu bewahren.»
    «Sie war blind, Lee. Wie hätte sie wissen sollen, dass du fallen würdest?»
    Lenas Unterkiefer mahlte. Er hatte ja gar nicht so Unrecht.
    «Mein Bein musste mit sechzehn Stichen genäht werden.»
    «Ich weiß.»
    «Sie hat mich geschubst?», fragte Lena mit einer um zwei Oktaven höheren Stimme. «Und warum sollte sie mich gestoßen haben?»
    «Ich weiß nicht. Vielleicht ja nur so zum Spaß.» Hank lachte in sich hinein. «Du hast so laut gebrüllt, dass ich schon dachte, die Nachbarn würden kommen.»
    «Ich bezweifle, dass die Nachbarn auf einen Salut von einundzwanzig Schuss reagiert hätten», konnte Lena dazu nur sagen. Hank Nortons Nachbarn hatten sich schon frühzeitig daran gewöhnt, dass in seinem Haus Tag und Nacht allerhand Remmidemmi herrschte.
    «Erinnerst du dich noch an damals am Strand?», hob Hank an.
    Lena sah ihn durchdringend an. Sie hä tte zu gern gewusst, wieso er davon anfing. «Wann denn?»
    «Als du dein Schwimmbrett nicht finden konntest?»
    «Das rote?», fragte Lena. Und fügte hinzu: «Sag bloß, sie hat es vom Balkon geschubst.»
    Er lachte. «Nein. Sie hat es im Pool verloren.»
    «Wie kann man ein Schwimmbrett in einem Pool verlieren?»
    Er winkte ab. «Irgendein Kind wird es mitgenommen haben.
    Es geht aber darum, dass es deins war. Du hast sie ermahnt, es
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    nicht zu nehmen, aber sie tat es trotzdem und hat es verloren.»
    Lena spürte, dass unwillkürlich ein Teil der Last von ihren Schultern verschwand. «Warum erzählst du mir das alles?», fragte sie.
    Wieder zuckte er nur andeutungsweise die Achseln. «Ich weiß auch nicht. Ich habe nur heute Morgen an sie denken müssen.
    Erinnerst du dich noch an das Hemd, das sie immer trug? Das mit den grünen Streifen?»
    Lena nickte.
    «Sie hatte es noch immer.»
    «Nein», sagte Lena ungläubig. Sie hatten sich in der High School wegen des Hemds gestritten, bis Hank eine Münze geworfen hatte. «Warum hat sie es behalten?»
    «Es war ihrs», sagte Hank.
    Lena wusste nicht, was sie sagen sollte, und starrte ihren Onkel nur an.
    Er stand auf und nahm einen Becher aus dem Schrank.
    «Möchtest du eine Zeit lang allein sein, oder soll ich bei dir bleiben?»
    Lena überlegte. Sie musste allein sein, um wieder zu sich zu finden. Das konnte sie nicht, wenn ausgerechnet Hank in der Nähe war. «Fährst du nach Reece zurück?»
    «Ich dachte, ich bleib über Nacht bei Nan und helfe ihr dabei, ein paar Sachen zu ordnen.»
    Lena spürte leichte Panik. «Sie wird doch nichts wegwerfen, oder?»
    «Nein, natürlich nicht. Sie geht nur die Sachen durch, räumt ihre Kleidung zusammen.» Hank lehnte sich mit gekreuzten Armen an die Frühstückstheke. «Dabei sollte man sie nicht allein lassen.»
    Lena schaute gebannt auf ihre Hände. Da war etwas unter den Fingernägeln. Sie vermochte nicht zu sagen, ob es Blut war oder
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    Schmutz. Sie steckte einen Finger in den Mund, weil sie ihn mit den unteren Zähnen säubern wollte.
    Hank sah ihr dabei zu. Er sagte: «Du kannst ja später vorbeikommen, wenn dir danach sein sollte.»
    Lena schüttelte den Kopf und biss auf den Fingernagel. Sie würde ihn sich lieber ausreißen, als zu ertragen, dass das Blut dort blieb. «Ich muss morgen sehr früh aufstehen und zur Arbeit», log sie.
    «Wenn du es dir anders überlegen

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