Belladonna
schließlich an einen größeren Felsbrocken gelehnt, die Arme vor sich ausgestreckt. Seine offenen Augen schienen sie anzustarren. Sara umfasste sein Handgelenk, um zu prüfen, ob er noch lebte. Sie schwamm an die Oberfläche, um Luft zu holen, bewegte sich auf der Stelle, streckte die Arme zur Seite aus. Ihre Zähne klapperten, aber sie zählte laut.
«Eins - eintausend», sagte sie zähneklappernd. «Zwei -eintausend.» Sara zählte weiter und trat wie wild Wasser. Sie erinnerte sich daran, als Kind im Wasser ein Fangspiel namens Marco Polo gespielt zu haben. Entweder sie oder Tessa traten dabei Wasser, hatten die Augen geschlossen und zählten wie vorher verabredet bis zu einer Zahl, bevor sie einander suchten.
Bei fünfzig atmete sie tief ein und tauchte dann wieder hinab. Jeb war noch immer an derselben Stelle, hielt den Kopf im Nacken. Sie schloss ihm die Augen und fasste ihn unter den Armen. An der Oberfläche schlang sie einen Arm um seinen Hals und benutzte den anderen zum Schwimmen. Sie hielt ihn fest und schwamm in Richtung Ufer.
Nachdem scheinbar Stunden vergangen waren, aber es höchstens eine Minute war, hielt Sara Wasser tretend inne, um wieder zu Atem zu kommen. Das Ufer war nicht näher gekommen, sondern schien sich sogar weiter entfernt zu haben. Ihre Beine schienen sich vom Körper abgelöst zu haben, obwohl sie ihnen doch befahl, Wasser zu treten. Jeb war nur noch Ballast und zog sie in die Tiefe. Ihr Kopf tauchte unter die Wasseroberfläche, aber sie riss sich zusammen, hustete das Seewasser aus und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Es war so kalt, und sie fühlte sich so schläfrig. Sie blinzelte und gab sich große Mühe, die Augen nicht zu lange geschlossen zu halten. Eine kurze Ruhepause wäre jedoch gut. Sie würde sich hier ausruhen und ihn danach ans Ufer schleppen.
Sara legte den Kopf in den Nacken und wollte sich auf dem Rücken treiben lassen. Jeb machte ihr das jedoch unmöglich, und wieder sackte sie langsam unter die Wasseroberfläche. Sie würde Jeb loslassen müssen. Das sah Sara ein. Aber sie konnte sich einfach nicht dazu zwingen, es zu tun. Obwohl das Gewicht seines Körpers sie allmählich wieder hinunterzog, brachte Sara es nicht fertig, ihn loszulassen.
Eine Hand packte sie, und dann legte sich ein Arm um ihre Taille. Sara war zu schwach, um sich zu wehren, und ihr Gehirn war zu sehr eingefroren, um zu verstehen, wie ihr geschah. Für einen Sekundenbruchteil dachte sie, es sei Jeb, aber die Kraft, mit der sie an die Oberfläche gezogen wurde, war zu stark. Sie ließ Jeb los und öffnete die Augen. Sie sah, wie seine Leiche langsam auf den Grund des Sees sank.
Ihr Kopf durchbrach die Wasseroberfläche, und ihr Mund öffnete sich weit, als sie nach Luft rang. Ihre Lungen schmerzten bei jedem Atemzug, ihre Nase lief. Sara fing zu husten an und bekam einen jener Hustenanfälle, die ein Herz zum Stillstehen bringen konnten. Wasser kam aus ihrem Mund, dann Galle, als sie an der frischen Luft zu ersticken drohte. Sie merkte, dass ihr jemand auf den Rücken klopfte, als wolle er das Wasser aus ihr hinausprügeln. Ihr Kopf kippte wieder ins Wasser, aber an den Haaren wurde sie mit einem Ruck hochgerissen.
«Sara», sagte Jeffrey, eine Hand um ihren Unterkiefer, die andere um ihren Arm, um sie hochzuhalten. «Sieh mich an», verlangte er. «Sara!»
Ihr Körper erschlaffte, aber sie war sich dessen bewusst, dass Jeffrey sie in Richtung Ufer zog. Unter ihren Armen umklammerte er ihren Oberkörper und schwamm auf dem Rücken, was mit nur einem Arm schwierig war.
Sara legte ihre Hände auf Jeffreys Arm, lehnte den Kopf an seine Brust und ließ sich von ihm nach Hause bringen.
NEUNUNDZWANZIG
Lena brauchte Jeb. Sie wollte, dass er ihr die Schmerzen nahm. Sie wollte, dass er sie wieder an den Ort schickte, wo Sibyl und ihre Mutter und ihr Vater waren. Sie wollte bei ihrer Familie sein. Es war ihr egal, welchen Preis sie dafür würde zahlen müssen; sie wollte nur bei ihnen sein.
Blut tröpfelte ihr in einem stetigen Rinnsal die Kehle hinunter, deswegen musste sie ab und zu husten. Er hatte Recht gehabt mit dem pochenden Schmerz in ihrem Mund, aber das Percodan machte ihn erträglich. Sie vertraute Jeb, dass die Blutung bald aufhören würde. Sie wusste, dass er mit ihr noch nicht fertig war. Nach all der Mühe, die er sich gegeben hatte, um sie hier gefangen zu halten, würde er sie niemals an ihrem eigenen Blut ersticken lassen. Lena wusste, dass er sich für sie etwas
Weitere Kostenlose Bücher