Ben - Alles auf Anfang (German Edition)
soll, die mir auf der rechten Seite aus den Rippen rauswächst, oder Fiebermessen, oder Gott weiß was.
Der Doc hat mir erklärt, bei mir wäre ein Lungenbläschen geplatzt und dadurch der rechte Lungenflügel teilweise zusammengefallen. Möglicherweise war die Rippenprellung von neulich ein auslösender Faktor, aber fest steht, dass die Veranlagung zu diesem Spontanpneumodingsbums in der Regel angeboren ist.
Soll heißen, das kann in der Zukunft immer mal wieder passieren. Na toll!
Mit Hilfe der Drainage wird jetzt die Luft aus dem Spalt zwischen Lungenfell und Rippenfell gesaugt und der Sog solange beibehalten, bis alles verheilt ist und nicht wieder zusammenfällt. Um den Verlauf zu kontrollieren werde ich jeden zweiten Tag geröntgt, und heute Morgen hat der Oberarzt gemeint, man könnte den Sog wahrscheinlich innerhalb der nächsten zwei oder drei Tage abstellen. Dann schleppe ich zwar immer noch so ein formschönes Kunststoffkästchen mit mir rum, bin jedoch nicht mehr ans Zimmer gefesselt.
Hurra ...
Er hat wohl ein bisschen mehr Freude von mir erwartet, aber mehr als ein getürktes Lächeln war leider von meiner Seite nicht drin. Daraufhin hat er sich schnell verkrümelt, und nun sitze ich wieder hier wie jeden Tag, im Bademantel, den durchsichtigen Plastikschlauch als Hundeleine zwischen mir und dem leise blubbernden Druckluftwandanschluss.
Ich habe jeden Tag Besuch, klar. Meine Eltern und meine Brüder wechseln sich ab, und meine Mutter ist sogar täglich hier, aber ich hab` leider so absolut gar keinen Bock auf ihr Aufmunterungsgeplapper und höre ihr meistens überhaupt nicht zu.
Auf der Fensterbank stapeln sich Bücher und Zeitschriften, unberührt. Dazwischen Vasen voller Blumen und Umschläge mit Genesungskarten. Die einzige Person die sie gelesen hat, ist meine Mutter.
Versäumen tue ich da trotzdem nichts. Drei Viertel der Leute, die mir so eine Karte geschickt haben, kenne ich nicht mal. Es sind Mandanten meines Vaters oder Kollegen, und diese Mischpoke kann mir echt gestohlen bleiben!
Vor einer halben Stunde ist meine Mutter für heute gegangen. Es ist fünf Uhr nachmittags, und um die Zeit macht sie sich meistens auf den Heimweg. Dann hat sie mich und meine Launen für gewöhnlich gute vier Stunden ertragen. Meine Blumen frisch gemacht, mein Kissen aufgeschüttelt (Welches die Schwester übrigens auch schon ganz famos aufgeschüttelt hat!), mich mit den neuesten Nachrichten aus der Familie und der Nachbarschaft versorgt, versucht mich zum Essen zu nötigen und vergeblich auf eine Reaktion von mir gehofft, die über ein gebrummtes „Mhm.“ hinausgeht.
Es tut mir auch wirklich aufrichtig leid, dass sie sich mit so einem ungeratenen, maulfaulen Sohn abgeben muss, aber ich kann einfach nicht anders. Nicht jetzt.
Meine Lunge heilt. Jeden Tag ein bisschen mehr.
Aber mein Herz ist und bleibt eine einzige Wunde.
Zwei Tage später bin ich meine „Hundeleine“ tatsächlich los, und Robin hat bei seinem Besuch am gleichen Tag nicht locker gelassen, bis ich mit ihm einen Abstecher in die Klinikscafeteria mache.
Er ist der einzige Mensch, mit dem ich wirklich rede, und weil er hier im Haus arbeitet, ist er auch jeden Tag mindestens ein Mal bei mir. Ihm habe ich als Einzigem erzählt, was zwischen Manuel und mir vorgefallen ist, und in seinem Arm hab ich ein einziges Mal darüber geweint, spät abends, nachdem die Nachtschwester längst ihre Runde gemacht hat und wir in meinem kleinen, stillen Krankenzimmer genauso gut die letzten verbliebenen Menschen auf der ganzen weiten Welt hätten sein können.
Er hat mich einfach nur wortlos festgehalten, mir über den Rücken gestreichelt und mich weinen lassen, bis keine Tränen mehr übrig waren. Und das war auch gut so.
Ich wollte keine platten Floskeln hören, aber genausowenig wollte ich auch, dass er über Manuel herzieht, und irgendwie muss er das gemerkt haben. Robin hat einfach mit mir zusammen geschwiegen und mir damit mehr geholfen als alle freundlichen Schwestern und gekünstelt fröhlichen Besucher zusammen. Ich hab mich verstanden gefühlt und ein ganz klitzekleines bisschen getröstet.
Und heute hat er mich also mit sich in die Cafeteria geschleppt.
Dieselbige hat ungefähr den Charme einer Industriekantine, ist aber mangels Alternativen gut besucht, und der Lärm der vielen Besucher wird von den kahlen Wänden und der hohen Decke gnadenlos zurückgeworfen. Nach der Stille meines Zimmers ist das fast schon zu viel für mich,
Weitere Kostenlose Bücher