Ben - Alles auf Anfang (German Edition)
da.
Stattdessen steht eine kleine, ältliche Frau in einem schlichten Kostüm hinter meiner Mutter, die mich neugierig aus grauen Augen mustert, welche hinter dicken Brillengläsern viel zu klein wirken.
Konsterniert starre ich die Frau an. Wer ist das?
Sie macht einen Schritt nach vorne und hält mir die Rechte hin.
„Guten Abend, Ben. Ich darf doch Ben sagen? Ich bin Agnes Stein. Aber sagen sie bitte auch Agnes zu mir!“
Irritiert nicke ich, ohne so ganz zu kapieren, was hier los ist. Ich ergreife einfach die dargebotene Hand, und schon hat sich die Dame an meiner Mutter vorbei ins Zimmer geschoben.
„Ähm …?“
„Ich hoffe, sie haben nichts dagegen, wenn ich mit Ben unter vier Augen spreche, Frau Böttinger? Ich verspreche, es dauert nicht lange.“ Die Frau strahlt meine Mutter entwaffnend an und wirkt dabei so herzlich, dass diese – offenbar nicht weniger verwirrt als ich – bloß nickt und sich einfach wortlos zurückzieht.
Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hat, sieht Frau Stein - pardon
Agnes! -
sich im Zimmer um und steuert zielstrebig den Sessel an, während ich blöd glotzend dastehe und alles mögliche bin, nur nicht Herr der Lage.
Als sie sieht, dass ich immer noch stehe, lächelt sie und fordert mich auf: „Setzen Sie sich doch, Ben! Im Sitzen redet es sich doch viel angenehmer, finden Sie nicht?“
Ich sinke auf meine Bettkante und will eigentlich erst mal ein paar Erklärungen, aber da legt sie schon los.
„Sie wundern sich sicher, wer ich bin und was ich hier will, nicht wahr? Nun, ich mache es kurz – ich bin Manuels Pflegemutter.“
Ihr grauer Blick bohrt sich in meinen, und plötzlich erinnert sie mich fatal an ihren Ziehsohn. Auch wenn sie nicht blutsverwandt sein mögen – diesen Killerblick haben sie echt alle Beide drauf!
„Wieso haben sie Manuel fallenlassen?“, fragt sie kühl, und kurz bin ich versucht, mich mal kräftig zu kneifen, denn ich kann mich ja nur verhört haben!?
„Was hab` ich?“, frage ich dementsprechend überrascht. „Ich hab` Manuel fallenlassen? Hat er das gesagt? ER ist es doch wohl, der mir aus dem Weg geht! Er hat mich von seiner Tür weggeschickt wie ein dummes Kind! Und als ich im Krankenhaus lag, ist er nicht ein einziges Mal aufgetaucht! Ich und Manuel fallen gelassen? Entschuldigen Sie, aber das ist eine Frechheit!“ Ich sitze kerzengerade, die Hände zu Fäusten geballt, während ich mich entrüste.
Jetzt scheint die Dame ganz abzudrehen, denn auf ihrem Gesicht breitet sich ein warmes Lächeln aus. Instinktiv rücke ich ein Stück von ihr weg, und als sie es bemerkt, lehnt sie sich ein wenig nach vorne und sagt entschuldigend: „Sie haben ja recht, mein Junge! Es tut mir leid! Sehen sie es einer alten Frau nach, wenn sie nur das Beste für ihr Kind will. Ich musste doch sichergehen, ob ihnen wirklich etwas an Manuel liegt oder nicht, wissen sie? Deshalb war das gerade ...“, sie hebt die Schultern, „so eine Art kleiner Test! Wenn er ihnen egal wäre, hätten sie doch ganz sicher nicht so heftig reagiert, nicht wahr?“
Ich bin sprachlos. Aber das scheint Agnes nicht zu stören, sie redet für uns beide.
Mit traurigem Gesicht schüttelt sie nun den Kopf. „Der dumme Junge! Immer will er nach außen nur der Starke sein! Erst recht seit sein Vater tot ist. Also – mein Mann“, fügt sie erklärend hinzu. „Und anstatt anderen Menschen zu vertrauen, sich mal auf jemand anderen zu verlassen, will er alles immer nur selber schaffen, mit sich allein ausmachen! Er igelt sich ein und tut sich selber weh!“
Das ergibt für mich nun absolut keinen Sinn.
„Was? Wie meinen Sie das?“, frage ich deshalb nach. Agnes seufzt und fragt: „Hat er Ihnen je erzählt, dass er angefangen hatte zu studieren und wieso er sein Studium hat abbrechen müssen?“ Ich bejahe und sie erklärt: „Schauen Sie, als er damals sein Studium aufgeben musste, da ist irgendwie was in ihm … kaputt gegangen, könnte man sagen. Er hat sich sehr verändert seitdem.“
Sie mustert mich und kneift ein bisschen die Augen zusammen. „Was meinen sie, warum hat er Sie einfach weggeschickt?“
Ich zucke mit den Achseln. „Was glauben Sie, wie oft ich mir die Frage schon selber gestellt habe, Agnes!?“, antworte ich und kann nicht verhindern, dass ich bitter klinge. „Vielleicht war ich ja doch nur eine Affäre für ihn? Wer weiß schon, was in Manuel vorgeht? Ich dachte mal, ich käme irgendwann dahinter. Aber das war wohl ein Irrtum!“
Sie
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