Benedict-Clan "Der Mitternachtsmann"
soll. Im Augenblick muss ich einfach auf sie aufpassen, weil ich nicht mehr mit mir leben könnte, falls ihr etwas passiert, okay?“
Roan schaute ihn lange an, bevor er langsam nickte. Luke antwortete ebenfalls mit einem Nicken, dann drehte er sich um und verließ das Büro. Er ging mit finsterem Blick an den marmorverkleideten Wänden entlang durch das Gerichtsgebäude. Am Ausgang stieß er die Glasschwingtür mit einer Hand auf und trat in die Hitze und den gleißenden Sonnenschein auf dem Vorplatz hinaus. Dort blieb er stehen. Er war gern im Freien, er brauchte viel Raum um sich, weil er dann einfach besser denken konnte.
Und plötzlich wusste er, was ihn so irritierte. Weder er noch sein Cousin hatten die Frage nach ihrem Interesse an April wirklich beantwortet. Er fragte sich, ob Roan das wusste.
Als er kurz darauf Chemin-a-Haut erreichte, werkelte Granny May in der Küche herum. Sie lebte nicht bei ihm, sondern wohnte in einem kleinen Haus die Straße ein Stück weiter runter, das sie von ihren Eltern geerbt hatte. Sie war nach dem Tod von Lukes Großvater wieder dorthin zurückgezogen, um, wie sie gesagt hatte, den Platz für Lukes zukünftige Frau freizumachen. Aber sie kam immer noch regelmäßig zwei Mal die Woche, und normalerweise kochte sie ihm dann einen großen Topf rote Bohnen mit Reis oder etwas Ähnliches.
Sie mochte es nicht, wenn man sie in der Küche störte, deshalb ließ er sie in Ruhe und ging nach oben in sein Schlafzimmer, holte einen Matchsack aus dem Schrank und begann ein paar Sachen hineinzustopfen. Er war fast fertig mit Packen, als er auf dem Flur schlurfende Schritte hörte. Als seine Großmutter auf der Schwelle auftauchte, schaute er auf und lächelte sie an, packte aber weiter.
„Fährst du weg?“ fragte sie.
Er erzählte ihr mit ein paar kurzen Worten, was er vorhatte. Dann ging er zu seiner Sockenschublade, nahm zwei Paar Socken heraus und warf sie in die Tasche.
„Klingt ja nicht gerade vernünftig in meinen Ohren“, maulte sie. „Immerhin hätte dich dieses Mädchen mal fast umgebracht.“
Er drehte sich zu der Schublade um und starrte auf ein Paar Acrylsocken, die das Letzte waren, was er mitzunehmen gedachte. „So schlimm war es auch wieder nicht.“
„Hmpf. Versuch bloß nicht, mir was vorzumachen.“ Die alte Frau krümmte die Schultern.
„Du ärgerst dich ja nur, weil sie über deine Familie schreibt.“ Er empfand es als Erleichterung, von ihrem scharfen Blick wegzukommen, als er nach nebenan ins Bad ging, um sein Rasierzeug einzupacken.
„Und selbst wenn? Sie hat kein Recht dazu.“
„Aber wir können sie auch nicht davon abhalten“, antwortete er, als er zurückkehrte.
„Wir könnten sie verklagen.“
Er warf die Sachen, die er zusammengesucht hatte, in den Matchsack und machte ihn zu, dann drehte er sich zu ihr um. „Ich dachte, du hast was gegen die Leute, die wegen jeder Kleinigkeit vor Gericht ziehen.“
„Das ist was anderes.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir sollten sie wegen Beleidigung oder so verklagen.“
„Wegen übler Nachrede vielleicht, weil sie es nicht mündlich, sondern schriftlich tut. Aber was ist eigentlich los, warum regst du dich so auf?“
Sie starrte ihn einen Moment an, ihre schönen alten Augen waren unergründlich. Dann schaute sie weg. „Das geht nur mich etwas an. Aber ich kann dir versichern, dass es dir genauso wenig passen kann wie mir, wenn sie in unserer Familiengeschichte herumschnüffelt. Du bist schließlich auch ein Benedict. Ich habe ja nur in die Familie eingeheiratet, obwohl es so lange her ist, dass ich mich viel mehr wie eine Benedict fühle als eine Seton.“
„Granny …“
„Hör zu, man wäscht seine schmutzige Wäsche nicht in aller Öffentlichkeit, lass dir das gesagt sein.“
„Was denn für schmutzige Wäsche?“
Sie presste ihre Lippen aufeinander und starrte ihn an.
„Wenn du mir nicht auf der Stelle einen guten Grund nennst, bin ich in Sekundenschnelle hier draußen und auf dem Weg nach New Orleans.“
Sie maßen sich mit Blicken. Granny May zog eine Schulter hoch. Er stand reglos da und beobachtete sie. Sie wandte das Gesicht ab.
„Schön. Ich schätze, du willst, dass ich jetzt fahre.“
„Oh, na gut!“ rief sie gereizt aus, während sie ihn wieder anschaute. „Es ist schon lange her, es war damals, als die vier Benedictbrüder hier ankamen. Sie hatten eine Frau dabei, weißt du, so eine, nach der sie alle verrückt waren. Manche erzählten sich,
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