Benedikt XVI
für uns alle erschütternd. Plötzlich so viel Schmutz. Es
war wirklich fast wie ein Vulkankrater, aus dem plötzlich eine gewaltige
Schmutzwolke herauskam, alles verdunkelte und verschmutzte, so dass vor allen
Dingen das Priestertum plötzlich als ein Ort der Schande erschien und jeder
Priester unter dem Verdacht stand, er sei auch so einer. Manche Priester erklärten,
sie trauten sich gar nicht mehr, einem Kind die Hand zu geben, geschweige denn
mit Kindern ein Ferienlager zu machen.
Die Sache
kam für mich nicht ganz unerwartet. Ich hatte schon in der Glaubenskongregation
mit den amerikanischen Fällen zu tun; ich hatte auch die Situation in Irland
heraufsteigen sehen. Aber in dieser Größenordnung war es trotzdem ein
unerhörter Schock. Seit meiner Wahl auf den Stuhl Petri hatte ich mich bereits
mehrfach mit Opfern sexuellen Missbrauchs getroffen. Dreieinhalb Jahre zuvor,
im Oktober 2006, hatte ich in meiner Ansprache an die Bischöfe von Irland
gefordert, die Wahrheit ans Licht zu bringen, alles Notwendige zu tun, damit
sich derartige ungeheuerliche Verbrechen nicht wiederholen, die Prinzipien von
Recht und Gerechtigkeit zu achten und, vor allem, den Opfern Heilung zu
bringen.
Das
Priestertum plötzlich so verschmutzt zu sehen, und damit die katholische Kirche
selbst, in ihrem Innersten, das musste man wirklich erst verkraften. Aber es
galt, nicht zugleich den Blick dafür zu verlieren, dass es in der Kirche das
Gute gibt und nicht nur diese schrecklichen Dinge.
Die Missbrauchsfälle im
kirchlichen Bereich sind schlimmer als anderswo. Wer höhere Weihen hat, muss
auch höheren Anforderungen genügen. Bereits zu Anfang des Jahrhunderts war, wie
Sie sagten, eine Reihe von Missbrauchsfällen in den USA bekannt. Nachdem der
Ryan-Report auch in Irland das ungeheure Ausmaß von sexuellem Missbrauch offenlegte , stand die Kirche in einem weiteren Land vor
einem Scherbenhaufen. "Es wird Generationen dauern ", sagt der
irische Ordenspriester Vincent Twomey , "um das
wieder in Ordnung zu bringen."
In Irland stellt sich das Problem
ganz spezifisch dar - da ist sozusagen eine geschlossene katholische Gesellschaft,
die ihrem Glauben trotz jahrhundertelanger Unterdrückung
immer treu blieb, in der dann offenbar aber auch bestimmte Haltungen
heranwachsen konnten. Ich kann das jetzt nicht im Einzelnen analysieren. Ein
Land, das der Welt so viele Missionare, so viele Heilige gegeben hat, das in
der Missionsgeschichte am Ursprung auch unseres Glaubens in Deutschland steht,
nun in einer solchen Situation zu sehen, ist ungeheuer erschütternd und
bedrückend. Vor allem natürlich für die Katholiken in Irland selbst, wo es
nach wie vor viele gute Priester gibt. Wie das geschehen konnte, das müssen wir
ausgiebig prüfen, gleichzeitig auch, was man tun kann, damit so etwas nicht
wieder geschieht.
Sie haben
Recht: Es ist eine besonders schwere Sünde, wenn jemand, der eigentlich den
Menschen zu Gott helfen soll, dem sich ein Kind, ein junger Mensch anvertraut,
um den Herrn zu finden, ihn stattdessen missbraucht und vom Herrn wegführt.
Dadurch wird der Glaube als solcher unglaubwürdig, kann sich die Kirche nicht
mehr glaubhaft als Verkünderin des Herrn darstellen.
Das alles
hat uns schockiert und erschüttert mich nach wie vor bis ins Innerste. Doch der
Herr hat uns auch gesagt, dass es im Weizen das Unkraut geben wird, aber dass
die Saat, Seine Saat, dennoch weiterwachsen wird.
Darauf vertrauen wir.
Es ist nicht nur der Missbrauch,
der erschüttert, es ist auch der Umgang damit. Die Taten selbst wurden über
Jahrzehnte verschwiegen und vertuscht. Eine Bankrotterklärung für eine
Institution, die sich die Liebe auf ihr Banner geschrieben hat.
Dazu hat mir der Erzbischof von
Dublin etwas sehr Interessantes gesagt. Er sagte, dass das kirchliche Strafrecht
bis in die späten 50er Jahre hinein funktioniert hat; es war zwar nicht
vollkommen - vieles ist daran zu kritisieren -, aber immerhin: Es wurde
angewandt.
Doch seit der Mitte der 60er Jahre
wurde es einfach nicht mehr angewandt. Es herrschte das Bewusstsein, die Kirche
dürfe nicht Rechtskirche, sondern müsse Liebeskirche sein; sie dürfe nicht
strafen. So war das Bewusstsein dafür, dass Strafe ein Akt der Liebe sein
kann, erloschen. Damals kam es auch bei ganz guten Leuten zu einer merkwürdigen
Verdunkelung des Denkens.
Heute
müssen wir wieder neu erlernen, dass die Liebe zu dem Sünder und die Liebe zu
dem Geschädigten dadurch im rechten
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