Benedikt XVI
der
alle Vollmacht hat, der Herr über das All, Gott selbst, der Mensch geworden
ist. Die Erscheinung Jesu hat die Welt verändert, wie sie noch nie verändert
wurde. Sie ist der größte Einschnitt und Umbruch der Menschheitsgeschichte.
Und dennoch wird es immer einen Rest an Zweifel geben. Vielleicht auch, weil
der Akt der Inkarnation Gottes in einem Menschen unser Fassungsvermögen ganz
einfach übersteigt?
Ja, da ist Ihnen völlig Recht zu
geben. Es ist einfach der Freiheit des menschlichen Entscheidens und Ja-Sagens
Raum gelassen. Gott zwingt sich nicht auf, etwa in der Art, wie ich feststellen
kann: Hier auf dem Tisch ist ein Glas; es ist da! Sein Dasein ist eine
Begegnung, die bis ins Innerste und Tiefste des Menschen hinabreicht, die aber
nie auf die Greifbarkeit einer bloß materiellen Sache reduziert werden kann.
Deshalb ist von der Größe des Geschehens her klar, dass Glaube immer ein Geschehen
in Freiheit ist. Dieses Geschehen birgt in sich die Gewissheit, dass es sich
hier um etwas Wahres, um Wirklichkeit handelt - aber es schließt umgekehrt auch
die Möglichkeit der Leugnung nie ganz aus.
Muss die Beschäftigung mit Leben und
Lehre Christi nicht immer auch eine Anfrage an die Kirche sein? Muss es einem
da, gerade wenn man sich auch als Autor noch einmal ganz neu in diese
Geschichte hineinbegibt, nicht auch schummerig werden, wie weit die Kirche immer
wieder von dem Weg abgewichen ist, den ihr der Sohn Gottes gewiesen hat?
Tja, das haben wir ja gerade in
dieser Zeit der Skandale erlebt, dass es einem wirklich schummerig wird darüber,
wie armselig die Kirche ist und wie sehr ihre Mitglieder in der Nachfolge Jesu
Christi versagen. Das ist das eine, was wir zu unserer Demütigung, zu unserer
wirklichen Demut erfahren müssen. Das andere ist, dass Er sie trotzdem nicht
loslässt. Dass Er sie trotz der Schwachheit der Menschen, in denen sie sich
darstellt, hält, in ihr die Heiligen erweckt und durch sie da ist. Ich glaube,
diese beiden Empfindungen gehören zusammen: Die Erschütterung über die
Armseligkeit, die Sündigkeit in der Kirche - und die Erschütterung darüber,
dass er dieses Werkzeug nicht loslässt, sondern damit wirkt; dass er sich durch
die Kirche und in ihr immer wieder zeigt.
Jesus bringt nicht nur eine
Botschaft, er ist auch der Heiland, der Heiler, der "Christus medicus ", wie es ein altes Wort ausdrückt. Ist es in
dieser vielfach so kaputten, unheilen Gesellschaft, über die wir in diesem
Interview viel gesprochen haben, nicht gerade auch die vordringliche Aufgabe
der Kirche, speziell das Heilsangebot des Evangeliums deutlich zu machen?
Jesus machte seine Jünger immerhin stark genug, dass sie neben der Verkündung
auch Dämonen austreiben und heilen konnten.
Ja, das ist entscheidend. Die
Kirche legt den Menschen nicht irgendetwas auf und bietet nicht irgendein Moralsystem
dar. Wirklich entscheidend ist, dass sie Ihn gibt. Dass sie die Türen zu Gott
aufmacht und damit den Menschen das gibt, was sie am meisten erwarten, was sie
am meisten brauchen, und was ihnen auch am meisten helfen kann. Sie tut es vor
allen Dingen durch das große Wunder der Liebe, das immer wieder geschieht. Wenn
Menschen - ohne einen Profit zu haben, ohne das als Job machen zu müssen - von
Christus motiviert anderen beistehen und ihnen helfen. Dieser, wie Eugen Biser sagt, therapeutische Charakter des Christentums, der
heilende und schenkende, müsste in der Tat viel deutlicher in Erscheinung
treten.
Ein großes Problem für Christen
ist das Ausgesetztsein in einer Welt, die im Grunde
ein Dauerbombardement gegen die alternativen Werte christlicher Kultur
liefert. Ist es nicht eigentlich unmöglich, dieser Art weltweiter Propaganda
für negatives Verhalten ganz zu widerstehen?
Tatsächlich brauchen wir
gewissermaßen Inseln, wo der Glaube an Gott und die innere Einfachheit des
Christentums lebt und ausstrahlt; Oasen, Archen Noahs, in die der Mensch immer
wieder fliehen kann. Schutzräume sind die Räume der Liturgie. Aber auch in den
unterschiedlichen Gemeinschaften und Bewegungen, in den Pfarreien, in den
Feiern der Sakramente, in den Übungen der Frömmigkeit, in den Wallfahrten und
so weiter versucht die Kirche, Abwehrkräfte zu geben und dann auch Schutzräume
zu entwickeln, in denen im Gegensatz zu dem Kaputten um uns herum auch wieder
die Schönheit der Welt und des Lebendürfens sichtbar
wird.
Von
den Letzten Dingen
Jesus hat seinen Jüngern nicht das
Schwert
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