Benjamin Rootkin - Zeiten voller Zauber, eine Weihnachtsgeschichte
Mir ist nicht nach feiern.“
Der Pater beugte sich tiefer herab. Er fasste Ben an den Schultern, drehte ihn herum, so dass er gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen.
„Was ist denn?“, fragte er sanft.
Ben wollte sich erst in Ausreden flüchten, aber wusste, dass sich der Pater damit nicht zufrieden geben würde. Tränen stiegen ihm in die Augen und kullerten von ihm unbemerkt über seine Wangen.
„Es ist ... es ist nur ... jetzt bin ich schon so lange hier“, kam es zitternd über die bebenden Lippen. „Niemand will mich haben. Ich sitze hier und beobachte die Menschen. Sehe, wie sie vorbeigehen, einkaufen, sich an den Händen halten und miteinander lachen. Jedes Jahr sage ich mir, bald kommt auch jemand für dich. Er holt dich ab, nimmt dich an der Hand und bringt dich nach Hause. Aber jedes Jahr an Weihnachten sitze ich noch hier, blicke in erleuchtete Fenster, sehe geschmückte Weihnachtsbäume und glückliche Menschen, die sich sorglos über ihre Geschenke freuen, und ich bin allein.“
„Aber du bist nicht allein, es ...“, versuchte Father Duncan zu widersprechen, aber der Junge unterbrach ihn mit bitterer Stimme:
„Oh doch, ich bin allein. Ich habe keinen Vater, keine Mutter, keine Geschwister, Großeltern, Tanten oder Onkel, keine Cousins oder Cousinen. Ganz allein!“
„Eines Tages ...“
„Bitte sagen Sie das jetzt nicht! Dieser Tag wird nicht kommen. Niemand will uns haben.“
Father Duncan senkte beschämt den Kopf. Er suchte nach tröstenden Worten, aber er fand keine. Der Junge hatte recht, niemand wollte die Waisenkinder haben. Sicher, ab und an kam es vor, dass irgendein grober Metzgermeister oder Schreiner, ein Kohlenhändler oder Müller kam und einen Jungen mitnahm, um sich das Geld für einen Lehrling zu sparen, aber stets waren es die Kräftigsten, und leider war es nun einmal so, dass Ben für sein Alter nicht besonders groß war und ihn die prüfenden Augen stets nur kurz anblickten, bevor sie auf ihrer Suche nach einer billigen Arbeitskraft weiterschweiften. Niemand entdeckte in Bens Gesicht die Anzeichen von Klugheit und Charakterstärke, von Sanftmut und Fröhlichkeit, und so blieb alles, wie es immer gewesen war und Ben im Waisenhaus.
Der Pater räusperte sich, um Bens Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken.
„Es gibt jemanden, der dich von Herzen liebt, der dich so annimmt, wie du bist.“
„Sie sprechen von Gott?“
„Ich spreche von unserem Herrn Jesus Christus. Er ist immer bei dir, auch wenn du dich noch so allein fühlst.“
„Es fällt mir manchmal schwer, daran zu glauben.“
„Auch er hat gezweifelt, aber schließlich hat er seinen Weg gefunden. Auch du wirst ihn finden. Alles wird gut. Nun komm, lass uns zu den anderen gehen. Mrs.Pearce hat einen Kuchen für dich gebacken. Du kennst Mrs.Pearces Kuchen, das ist etwas, das man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte.“
Kapitel 2
Der Morgen zeigte sich von seiner besten Seite. Als Benjamin vor die Tür trat, empfing in die frische Kühle der Nacht. Sein warmer Atem ließ kleine, weiße Wölkchen in den Himmel steigen.
Die ersten Sonnenstrahlen verzauberten die Welt, und der Junge konnte sich gar nicht mehr vorstellen, dass er gestern noch so traurig gewesen war. Er und die anderen hatten Mrs.Pearces leckeren Schokoladenkuchen gegessen und anschließend mit den Aufsehern des Heimes die Reise nach Jerusalem gespielt. Ben hatte zwar kein einziges Mal gewonnen, aber trotzdem war es ein Heidenspaß gewesen.
Der letzte Rest Trübsal verflüchtigte sich im Schein der Morgensonne. Heute war Dienstag, und Dienstag war stets der beste Tag der Woche. An Dienstagen durfte er mit Mr.Stendal zum Lebensmittelgeschäft in der Hickory-Street fahren. Der alte Kutscher nahm sich immer diesen einen Tag in der Woche frei und transportierte kostenlos die Nahrungsmittel für das Waisenheim, die Father Duncan bestellt hatte. Benjamin durfte mitfahren, um beim Ein- und Ausladen zu helfen.
Natürlich hoffte Ben, dass er auf dem Kutschbock Platz nehmen durfte und sich nicht nach hinten setzen musste. Vielleicht war Mr.Stendal ja so gut aufgelegt, dass er ihm die Zügel anvertraute.
Er stapfte mit den Füßen fest auf den schneebedeckten Boden, um die Kälte aus seinen Beinen zu vertreiben. Ein leichter Wind war aufgekommen und durchdrang die Kleidung des Jungen. Er hauchte seine Fingerspitzen an, die in abgeschnittenen Handschuhen steckten, und hoffte, dass der Kutscher heute ausnahmsweise einmal
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