Benkau Jennifer
der dahinter versteckten Blutrunst trug. Wenn man ihn reizte, biss er zu. Hatte er erst einmal zugebissen, ließ er nicht mehr los, ehe der Sieg ihm gehörte.
Samuel grinste und lutschte seine noch immer blutenden Fingerknöchel ab. Die Kerle, über deren Kämpfe man in den Zeitungen berichtete, trugen dieser Tage nur noch Handschuhe, wenn sie in den Ring gingen. Handschuhe aus Rindsleder, die mehr kosteten, als er mit zwei oder drei gewonnenen Kämpfen zusammenbekam. Manchmal fragte er sich, wie viel Geld diese verweichlichten Queensberry-Boxer pro Kampf wohl bekamen, denn neben diesen Handschuhen trugen sie auf den Zeitungsbildern auch spezielle Stiefel und Turnhosen. Er dagegen ging so zum Kampf, wie er nach der Arbeit in der Druckerei war. Verschwitzt und voller Druckerschwärze, die sich nach dem Kampf zwischen den Zähnen seiner Herausforderer wiederfand. Allenfalls das Hemd zog er beim Boxen aus, damit es nicht zerriss; aber im Winter überlegte er sich selbst das immer zwei Mal. Fünfzehn Mark und ein paar Pfennig klimperten in seiner Hosentasche. Ein guter Schnitt, wenn man bedachte, dass der Gegner schon nach vier Runden am Boden war. Samuel musste zugeben, dass auch Glück im Spiel war. Sein Aufwärtshaken hatte nur ein einziges Mal die richtige Stelle erwischt: die Nase von schräg unten. Ein Schlag, der so manchem Boxer das Nasenbein ins Hirn gerammt und damit die Lebensflamme ausgeblasen hatte. Wem das geschah, der war manchmal schon tot, bevor er auf dem Boden aufschlug. Aber im Kampf dachte niemand an Derartiges; weder der Zuschlagende, noch der, der einsteckte. Man verließ sich auf sein Glück.
Und ja, Glück hatte er an diesem Abend gehabt. Hier und da griff die Polizei in die unerlaubten Faustkämpfe ein, und dann musste man eine Schlacht mit ihnen riskieren, oder aber Boxer und Wettende mussten die Taschen weit öffnen und ihre Gewinne teilen, um zumindest einen Anteil des Geldes behalten zu können. An diesem Abend aber war alles ruhig geblieben und somit das Geld dort, wo es hingehörte. Das Gewicht der Münzen hüpfte bei jedem Schritt in Samuels Tasche und er ging trotz geprellter Rippen noch beschwingter, damit die Markstücke munterer sprangen. Riskant, denn solche Töne lockten die Strolche. Doch Samuel verhöhnte jeden Gedanken daran. Wer sollte es schon mit ihm aufnehmen? Das sollte nur jemand versuchen. Er war allein und blieb es auch. Lediglich ein paar Schneeflocken, winzigen Sternen gleich, kamen zu seiner Gesellschaft vom Himmel und begleiteten ihn ein Stück auf dem Walkstoff seines Mantels.
Aus den blinden Fenstern und den unregelmäßigen Scharten zwischen den Holzbalken seines Hauses drang das Licht flackernder Ölleuchten und spielte auf dem feuchten Straßenpflaster. Elisabeth war demnach noch wach. Samuel ging prompt schneller. Als er die Tür öffnete, hieß ihn Wärme willkommen. Einen Moment genoss er das wohlige Gefühl, mit dem sie unter die feuchte Kleidung kroch und seinen von kühlem Schweiß bedeckten Körper einlullte. Dann jedoch stutzte er, während die kostbare Wärme zur offenstehenden Tür hinausströmte. Es war nicht nur warm – es war zu warm. Dass seine sparsame Elisabeth am späten Abend so stark einheizte, irritierte ihn. Die Lampen leuchteten zu hell aus der Stube. Warum war es so ruhig?
Samuel schauderte und schalt sich gleich darauf einen Narren. Es war sicher alles in Ordnung.
„Betti?“, rief er leise, während er die Stiefel von den Füßen streifte. „Betti? Liebes!“
Ein Murmeln antwortete ihm, doch die Stimme gehörte nicht seiner Frau. Aus einem Grund, den er nicht benennen konnte, wollteer in dem kleinen Flur verharren. Er wollte die Stube gar nicht betreten. Seine Füße trugen ihn dennoch Schritt für Schritt über die Dielen, bis er im Türstock stand und sein Blick die ältliche Frau erfasste, die dort in seinem Lehnstuhl vor dem Kamin saß. Die Hebamme.
„Herr Maleiner, es tut mir leid“, sprach sie tonlos, den Blick auf etwas gerichtet, das sie im Arm hielt. „Ich konnte nichts mehr tun, außer den Knaben zu retten. Der Doktor war da, aber es war zu spät. Ihre liebe Frau, Gott hab sie selig, hat es …“
Samuel verstand die Worte nicht länger. Blut rauschte in seinen Ohren. Sein Blick verschwamm, ebenso das bewusste Denken. Der Boden unter seinen Füßen schien sich zu bewegen. Plötzlich fühlte er sowohl den Schmerz seines geprellten Wangenknochens, wie auch den der Platzwunde an seiner Stirn. Seine Fäuste brannten
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