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Benkau Jennifer

Benkau Jennifer

Titel: Benkau Jennifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phoenixfluch
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gespenstischer Schatten. „Herr Maleiner“, flehte die Hebamme auf der Türschwelle. „Der Knabe. Das ist Ihr Knabe!“
    Sie streckte ihm das jammernde Bündel entgegen, als wolle sie es gleich neben ihn auf die Straße legen. Doch das durfte sie nicht. Das Kind würde genauso sterben wie Elisabeth. Er konnte es nicht beschützen, er konnte das nicht. Schockiert von dem Wissen, erneut zu versagen, rutschte er zurück.
    „Ich will es nicht. Gehen Sie weg damit.“
    Irgendwo öffneten sich Fensterläden. Licht drang auf die Straße, verhaltene Stimmen.
    Entsetzen und Abscheu spiegelten sich im Gesicht der alten Frau. „Sie wollen doch nicht, dass ich Ihren Sohn ins Waisenhaus gebe.“
    „Es ist mir gleich. Geben Sie das Kind, wohin Sie wollen. Ich kann es nicht nehmen, gehen Sie weg mit ihm.“
    „Aber Gott bewahre, Herr Maleiner! Was tun Sie Ihrer guten Frau an, wenn Sie ihren einzigen Sohn, für den sie ihr Leben hergegeben hat …“
    „Weg damit!“ Er brüllte wie von Sinnen, sich selbst nicht verstehend. „Tun Sie es weg! Bringen Sie es meiner Schwiegermutter, behaltenSie es selbst, oder geben Sie es dem Teufel, aber kommen Sie nicht näher mit dem verdammten Balg!“
    Das Gemurmel schwoll an, die Stimmen schienen von überall zu tönen, dabei waren es nicht viele. Eine Nachbarin, eine gehässige alte Vettel, rief eine schockierte Bemerkung herüber. Weitere Türen und Fensterläden öffneten sich, neue Stimmen erklangen. Mehr und mehr Scham, Schuld und Schande brachen über Samuel zusammen. Er wollte in diesen Dämonen ertrinken, aber so barmherzig waren sie nicht.
    „Was ist denn nur passiert?“
    „Schrecklich, ganz schrecklich.“
    „Der arme Mann scheint völlig verrückt zu werden.“
    „Die gute Frau Maleiner ist tot?“
    „Herrgott, so sag mir doch endlich jemand, was geschehen ist!“
    „Allmächtiger, sie war doch noch so jung.“
    Samuel zitterte. Es war kalt, es war so schrecklich kalt. Er presste das von Kindswasser besudelte Tuch an seine Brust. Schwerfällig kam er auf die Füße, so als hätte man ihn eben ohnmächtig geschlagen. Ein älterer Mann näherte sich ihm, streckte die Hand nach ihm aus. Samuel verbarg sein Tuch hinter dem Rücken, wie einen Schatz, den er hüten musste. Er wich zurück, bis er mit dem Rücken an eine Mauer stieß, und drehte sich dann hastig um.
    Weg. Nichts wie weg von diesem Ort. Er rannte los.

5
    Der Mut hat keine Zuflucht - die Feigheit derer tausend .
    Waldemar Bonsels
    München, Winter 1888
    S amuel lief, bis sein Körper in die Knie ging. Die Kälte der Nacht brannte in seinen Atemwegen. Jedes Luftholen tat weh, aber bei Weitem nicht genug, um den Schmerz greifbar zu machen, der ihn quälte. Wellen aus übermächtigem Zorn, auf sich selbst und alle Welt, donnerten durch seinen Körper, wuchsen empor und brachen sich schließlich an den scharfen Küsten seiner Hilflosigkeit. Mit den Fäusten begann er, auf den gefrorenen Boden einzuhämmern. Er wollte bluten, er wollte fühlen, er wollte es real machen. Alles war besser, als die dumpfe Leere in seinem Inneren, die ihn zu zerreißen drohte, und es doch nicht tat. Er hätte seine Fassungslosigkeit herausgeschrien, doch seine Kehle gab nur ein ersticktes Keuchen von sich. Das Tuch in seiner Faust färbte sich rosa und er heulte hemmungslos über den Anblick.
    Wie erbärmlich. Aber hier sah ihn niemand, er war allein und seine Tränen beschämten nur ihn selbst. Linker und rechter Hand erstreckten sich Äcker. Der vom Mondlicht erhellten Schneedecke war es zu verdanken, dass er etwas sehen konnte. Geradeaus zeichneten sich die Konturen eines Waldes vor dem leuchtenden Dunkelblau des Nachthimmels wie ein Scherenschnitt ab. Er wusste nicht, welcher Wald es war. Es hatte ihn auf seiner Flucht vor der Wahrheit nicht nach Orientierung verlangt, demnach konnte er nicht sagen, wann er sie verloren hatte. Die Kälte schnitt in seine Haut, riss an seinen Muskeln, schien ihn wach rütteln zu wollen.
    Steh auf, du Narr, sonst erfrierst du.
    Seine Atemwölkchen waren kaum mehr zu erkennen. Die Nacht war unglaublich klar, das Dunkelblau des Himmels glühte. Trotz seiner verschleierten Augen glaubte er, weiter in den Himmel schauen zu können als je zuvor. Jede Schneeflocke funkelte wie ein winziger Kristall. Samuel wurde kälter, tröstlich kälter. Wenn er erst so kalt war wie sie …
    Stöhnend kam er auf die Füße. Er musste zurück, denn sein Hemd war von Schweiß und Schnee durchnässt. Ohne Mantel und

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