Benkau Jennifer
Georg den Degen aus der Scheide und richtete ihn auf die Brust des am Boden Liegenden. Eiseskälte erfasste Helena, ein hohes „Nicht!“ verließ ihre Kehle. Sie drohte, zu stürzen. Das Bild verschwamm vor ihren Augen, von bunten Schlieren durchzogen. Wie hinter einem wässrigen Farbenschleier sah sie, wie Georg den Degen hob und niedersausen ließ. Sie presste die Lider zusammen. Das konnte doch nicht wirklich geschehen! In ihren Ohren rauschte Blut wie ein Wasserfall. Sie hörte keinen Schrei, nur das Singen der Klinge und darauf ein feuchtes Schmatzen. Georg grollte. Weitere Laute peitschender Schläge zwangen Helena, die Augen zu öffnen. Hinter dem Tränenvorhang musste sie mit ansehen, wie Georg wie ein Berserker mit der zweischneidigen Klinge über Sven herfiel. Dessen Mund war weit aufgerissen, blieb aber stumm. Alles war voll Blut.
Niemand griff ein. Niemand schien zu bemerken, was hier, abseits der lautstark Feiernden vor sich ging.
„Hör auf!“, kreischte Helena. Sie sprang auf, musste Georg aufhalten. Doch ihre Beine gaben nach und sie fiel wie in Zeitlupe auf die Knie. Sie versuchte, um Hilfe zu rufen, aber ihre Stimme versagte. Nur ein Keuchen entrang sich ihr und verlor sich im Chaos der Geräuschkulisse. Ihre Glieder waren steif, sie konnte sie kaum bewegen.
Georg warf ihr einen schockierten Blick zu, wandte sich jedoch sofort wieder ab. Immer wieder schlug er den Säbel tief in den Körper des Mannes. Dessen Kleidung war längst zerrissen, seine Haut von unzähligen Schnitten übersät. Einer zog sich quer über sein Gesicht, teilte seine Wange und die gegenüberliegende Augenbraue. Fleisch klaffte auf, Blut sprudelte hervor. Es spritzte von der Klinge, wenn Georg sie anhob und erneut niederhieb, und schimmerte schwarz wie eine Öllache auf dem laubbedeckten Boden. Etwas flog durch die Luft und landete dicht neben Helena. Es sah aus wie ein halbes Ohr, blonde Haare klebten daran. Der nächste Schlag drang tief in Svens Halsbeuge. Seine Augen rissen auf, verdrehten sich und wurden inmitten der Bewegung starr.
„Oh bei allen …“
Die Stimme brach Helena weg. Sie holte so tief Luft, wie sie konnte, wollte aus Leibeskräften um Hilfe schreien. Im gleichen Moment wandte Georg sich um. Ein Faustschlag traf sie am Kopf und sie brach zusammen. Eine Welle aus Dunkelheit und Stille riss sie in die Tiefe.
Halb aufrecht an einen Baumstamm gelehnt, kam Helena zu sich. In ihrem Hirn schien ein Mixer gewütet zu haben, so durchgeschleudert fühlte sich ihr Kopf an. Ein metallischer Geschmack lag ihr auf der Zunge und sie tastete vorsichtig über Mund und Nase, um sich zu vergewissern, dass sie nicht blutete.
Oh bitte, flehte sie innerlich alle Mächte an, die sie kannte. Lasst mich nur den Kopf angestoßen haben. Bitte, das kann doch alles nur ein Traum gewesen sein.
Doch die Umgebung machte nicht den Eindruck, als hätte sie geträumt. Sie befand sich im Wald und bis auf das Rascheln von Tieren im Laub und Unterholz sowie dem Rufen eines Kauzes war es still. Sie hörte keine Menschen, keine Straße. Nichts. Neben ihr steckte eine Fackel im Boden und spendete ebenso wenig Wärme wie Licht. Georg saß so weit von ihr entfernt, dass seine Konturen fast völlig mit der Finsternis verschmolzen.
Bei allen Mächten, er hatte diesen Jungen kaltblütig und ohne jeden Grund leichthin abgeschlachtet.
Helena blinzelte mühsam gegen brennende Tränen an. Sie musste hier weg. Ganz behutsam rutschte sie zurück. Leise, denn wenn er ihre Flucht bemerkte, hatte sie sicher keine Chance mehr. Er saß mit dem Rücken zu ihr, das war ihr Glück. Nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie, dass er den Kopf gesenkt hielt und die Stirn auf die Hände stützte. Auf dem Hinterteil arbeitete sie sich rückwärts, Zentimeter für Zentimeter, bemüht, das Laub nicht unter ihrem Körper rascheln zu lassen. Ein Metergelang ihr, auch ein zweiter. Noch weitere zwei, drei Meter, dann sollte sie versuchen, sich aufzurichten und hinter den Bäumen zu verschwinden.
„Warum kriechst du über den Boden?“
Helena zuckte unter seiner leisen Stimme zusammen. Er erhob sich, drehte sich zu ihr um und kam mit langsamen Schritten näher. Ihre Finger schlossen sich um einen unterarmdicken Stock, den sie als Waffe verwenden konnte.
„Verschwinde! Komm bloß nicht näher!“
Er schüttelte den Kopf. Im Schein der Fackel schien sein Gesicht fast verwundert. „Helena, was hast du nur? Geht es dir noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher