Benkau Jennifer
Lachen entfuhr Helena, da sie glaubte, die Berührung selbst zu spüren. Himmel, war der heiß. Sie senkte den Kopf, kühlte mit der Hand ihr Gesicht.
„Alles in Ordnung, rotes Frollein?“, fragte der Schankwart.
Sie nickte. „Aber klar doch.“
Als sie wieder aufsah, stand der mysteriöse Fremde keinen Meter vor ihr. Helena schrak zusammen, warf einen nervösen Blick zu dem alten Mann hinter der Theke, doch dieser schien den Mann nicht wiederzuerkennen, er beachtete ihn nicht.
„Ich grüße dich, kleine Zeitenpilgerin“, sagte der Fremde freundlich. „Ich habe auf dich gewartet.“
„Tatsächlich?“ Helena schwenkte ihre Steinguttasse, sodass der letzte Rest Brandwein darin Pirouetten tanzte. „Darf ich auch erfahren, wen ich habe warten lassen?“
„Einen weiteren Pilger. Nur wird meine Reise ein wenig länger andauern als deine, Helena.“
Ihren Namen zu hören, verwandelte ihre Neugier in Misstrauen. „Woher weißt du, wie ich heiße?“
„Meine Schergen halten ihre Augen offen“, antwortete er spöttisch.
Helena stemmte eine Hand in die Seite. Vermutlich hatte er sie mit Steffi gesehen und diese angesprochen. Sie fragte sich, wo ihre Freundin war, sie hatte sie noch nicht unter den Feiernden ausgemacht. „Zuverlässige Schergen hast du. Aber einen Namen besitzt du doch sicher auch.“
„Wie unhöflich von mir.“ Er rieb sich das Kinn. „Nenne mich Georg, Pilgerin.“
„Georg, soso. Wie der Heilige Georg?“
Sein Blick ging tiefer, wanderte ihren Körper herab, mit der Intensität, als würde er sie anfassen.
„Eben der. Immer bereit, eine Jungfer in Nöten zu retten. Wobei wir das mit der Jungfräulichkeit heute nicht mehr so ernst nehmen. Auch Heilige reisen im Strom der Zeit.“
„Jungfrauen ebenso“, erwiderte Helena und zwinkerte. „Heutzutage retten die sich lieber selbst.“
„Umso besser. So bleibt den Heiligen mehr Zeit für die wirklich sakrosankten Dinge des Lebens.“
„Die da wären?“ Da war sie ja mal gespannt. „So wie du flirtest, ist jede Antwort außer ‚Jungfrauen dezimieren‘ gelogen.“
Georg lächelte bedeutungsschwer. Auf der Bühne spielte man nun ein melancholisches, aber keinesfalls langsames Lied, welches von zerrissenen Liebschaften erzählte. Schalk blitzte in seinen Augen auf.
„Genug der spitzen Worte. Ich bin durchschaut und strecke meine Waffen vor dir, Pilgerin. Möchtest du nicht lieber mit mir tanzen, statt mir meine Laster anzuprangern?“
Helenas Beine waren zittrig vom Alkohol, aber ihre Zurückhaltung lag bereits im Weinbrand-Koma und der Verstand torkelte auch schon bedenklich. „Gern.“
Zu Anfang hielt er lediglich ihre Hand, während sie um ihn herumtanzte, so wie es etliche andere Paare ebenfalls taten. Schnell fand sich jedoch ein gemeinsamer Rhythmus, der konform zur Musik ausgelassener wurde. Er umschloss ihre Taille mit seinen großen Händen und wirbelte sie herum. Helena wurde flau. Sie tanzten längst nicht mehr zur Musik, die Musik begleitete sie. Es war, als befehligte Georg nicht nur ihren Körper, sondern auch die Akkorde. Die Menschen machten Platz, starrten sie an. Tuschelten. Sollten sie doch. Das Tanzen trieb die Schwermut aus Helenas Gedanken, ebenso das bittere Sehnen nach der Gesellschaft eines anderen Mannes. Sie drehte sich durch einen Moment der Gleichgültigkeit und wog ihren Körper dann im Zustand der Unbeschwertheit Richtung Freude. Nach drei weiteren Schritten hatte sie Samuel fast vergessen.
Sie tanzte mit Georg um ein Feuer, kam den Flammen so nah, dass diese an ihrem Rock leckten. Dem feuchten Wetter sei Dank war der Stoff klamm, so lachte Helena nur und genoss das Spiel mit der Hitze. Funken stoben auf und verloschen in der Luft, um als Ascheflocken niederzusinken. Alles schien zu tanzen. Die Flammen, die Bäume, die Sterne aus Glut. Ja, selbst die Bühne. Immer mehr Menschen gafften Helena an, zeigten mit den Fingern auf sie. Der Boden unter ihren Füßen wurde zu einer beweglichen Masse, weich wie Watte. Helena wurde unwohl, als sie bemerkte, dass die Musik wie aus weiter Ferne kam. Das Taumeln und Wirbeln der Umgebung hörte nicht auf, obwohl sie breitbeinig stehen blieb und die Hände auf die Oberschenkel stützte. Es war so heiß. Die Krone einer Esche brannte, die danebenstehende Tanne hielt sich vor Lachen die Mitte. Ein Hund kam auf die Hinterbeine und tanzte mit einem Dudelsack einen Walzer. Einer starrenden Frau fielen die Augen aus den Höhlen und baumelten an Nervensträngen
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