Benkau Jennifer
weiterschicken wollte.
Der Polizist warf Cat einen mehr als skeptischen Blick zu, ließ aber beide eintreten. Im Inneren des Ladens fotografierte ein zweiter Polizist die Glasscherben, die sich über den Boden des hinteren Ladenbereichs verteilten wie Konfetti. Vor Konzentration auf die Aufnahmen hatte er die Zunge in den Mundwinkel geklemmt und beachtete Helena nicht. Im Windzug flatterten die ausgestellten Notenhefte, hinabgewehte Werbeflyer huschten über den Boden. Toni war nicht im Verkaufsraum, doch sie hatte seinen Wagen auf einem Parkplatz vor dem Laden erkannt. Helena fragte nach ihm, der Polizist antwortete mit einem Zucken seines Kinns und wies die Treppen hinab.
Eilig lief sie hinunter und fand einen kreidebleichen Toni in seinem Antiquitätenlager über den Tisch gebeugt, auf dem ein großer, geöffneter Koffer lag. Ein Parforcehorn lag darin, gebettet auf rotem Samt.
„Es ist nichts gestohlen worden“, sagte er leise, als spräche er zu sich selbst. „Reiner Vandalismus, nur weil ich mit einem Mann zusammen war, der mich für eine Frau sitzen gelassen hat. Cazzo! Das wird mir ewig nachhängen.“
Helena strich ihm tröstend über die Schulter, doch er sah nur kurz zu ihr auf. „Was ist das?“, fragte sie, auf das Instrument deutend, von dem er kaum den Blick abwenden konnte. „Es ist ziemlich alt, oder?“
Toni nickte und fuhr mit den Fingern die Gravur auf dem Korpus nach. Blätter und Beeren der Eibe waren filigran in das Messing eingearbeitet, dazwischen kleine Vögel, Käfer sowie eine Libelle.
„Ziemlich alt, ja. Und ein Vermögen wert.“ Toni seufzte. „Als ich die eingeschlagene Scheibe sah, dachte ich, es wäre gestohlen worden.“
Er nahm die Brille ab, rieb sich die Nasenwurzel und klappte den Koffer rasch zu. Helena erkannte ihn an dem ins Leder eingelassenen Motiv wieder. Es war der, den der fremde Lieferant gebracht hatte, mit dem Toni in der letzten Woche in Streit geraten war. Also war dieses Horn wohl die Ursache der lautstarken Diskussion.
„Ein Kunde aus Rom hat zugesagt, es zu kaufen. Ich bin heilfroh, wenn ich es endlich los bin.“
Helena biss sich auf den Daumennagel, unsicher, was sie sagen sollte, während Toni den Instrumentenkoffer in eines der Regale schob. Etwas stimmte mit diesem Horn nicht.
Er schob die Brille zurück auf die Nase und zuckte mit ausgebreiteten Armen die Schultern, als sei es ihm gleichgültig. „Na komm. Lass uns hochgehen. Wir müssen das Chaos beseitigen und ich brauche dringend eine Zigarette.“
Für die nächsten Tage bestand Toni darauf, dass niemand allein eine Schicht übernahm. Zwar glaubte die Polizei nicht, dass die Vandalen zurückkommen würden, doch Toni ließ Vorsicht walten. Helena genoss es einerseits, wie zu Anfang ihrer Arbeitszeit mit Steffi gemeinsam zu arbeiten. Andererseits wusste sie, dass die doppelten Kosten dem Notenhaus nicht guttaten. Außerdem nahm Steffis Neugierde gelegentlich Züge an, die weit über Helenas Mitteilungsbedürfnis hinausgingen; besonders einen gewissen Samuel Maleiner betreffend. Steffi war ohne jede Frage eine bis ins Mark loyale Freundin, aber manchmal erschien sie wie eine Ente, die immerzu lautstark nach dem neusten Stück Brot aus der Gerüchteküche schnatterte. Klatsch und Tratsch waren für sie so wichtig, wie die Luft zum Atmen. Steffi kannte nicht nur grundsätzlich jedes Detail im Liebesleben der Promis, sie verlangte auch ihrem Umfeld ebenso viel an Informationen über das Privatleben ab, wie sie es aus der Gala, der Vogue und der Glamour gewöhnt war. Bekam sie nicht, was sie wollte, strafte sie dies durch Schmollen. Es verging kaum ein Tag, an dem Helena ihre Freundin nicht gern so fest umarmt hätte, dass es einem Erwürgen nahe kam. Die sich Tag für Tag verdunkelnden Schatten unter Helenas Augen veranlassten Steffi zu den wildesten Spekulationen, ihre Nächte betreffend. Helena versteckte die Augenringe unter Make-up und alle Wahrheiten hinter einem anzüglichen Grinsen.
Oh, der Sex mit Samuel war gut, sehr gut, so war es nicht. Für sie. Er jedoch blieb unbefriedigt, was immer sie auch gab, und er bat sie, es hinzunehmen; ja, es nicht zu beachten. Sie sprachen nicht weiter darüber. Noch nicht. Helena führte das Ganze auf seine Frau und ihren Tod im Kindbett zurück. Es war kein Wunder, dass er gehemmt war, sie musste ihm Zeit lassen.
Was ihr wirklich den Schlaf raubte, behielt sie für sich. Die Albträume ließen nicht nach und sie hatte begonnen, Nachforschungen
Weitere Kostenlose Bücher