Benkau Jennifer
Wesen.
„Lass uns zu dir fahren“, bat sie, als sie am frühen Nachmittag wieder ins Auto stiegen. Er verkniff sich einen Kommentar, dass der Hund ein weiteres halbes Pfund Waldboden auf dem Rücksitz verteilte. Ebenso verbot er sich die Zweifel, ihr sein Haus zu zeigen. Stattdessen nickte er wortlos und startete den Motor. Helena legte ihre Hand auf seine und murmelte einen kaum hörbaren Dank.
Schon wieder hatte sie ihn durchschaut.
„Dafür, dass du allein hier lebst, ist es erschreckend sauber“, stellte sie fest, während sie sein Wohnzimmer musterte.
Sauber bedeutete steril, auch wenn sie es nicht aussprach.
„Ich bleibe nie lange an einem Ort und bin ohnehin nicht oft hier. Es würde sich nicht lohnen, es persönlicher einzurichten.“
„Verstehe.“
Sie schlug eine Taste des Klaviers an und erwischte eine der beiden, die nicht mehr funktionierten. Er sah den Ausdruck von Trübsal, der sich in ihre Züge zeichnete; sah, wie sie sich bemühte, ihn abzuschütteln, während sie zum Regal ging und mit spitzen Fingern ein hellblaues Taschenbuch zwischen zwei in Leinen gebundenen Klassikern herauszog.
„Du liest Liebesromane?“ Sie unterdrückte das Lachen, ihr Gesicht verkrampfte regelrecht. „Nicholas Sparks? Samuel, ich bin …“
„Überwältigt?“, bot er an. „Hingerissen?“
„Schockiert trifft es eher.“
„Ich lese das nicht, das steht hier nur, um mein Image zu polieren“, sagte er mit gesenkter Stimme. „Die Frauen stehen drauf. Die Pornos habe ich gut versteckt.“
„Du lügst doch, du hast gar keine Pornos.“ Helena seufzte theatralisch. „Das Schicksal meint es wahrhaft gut mit mir. Konserviert nur für mich den einen Mann, der Schokolade liebt, dabei keine Plauze bekommt und noch dazu Liebesromane liest. Ich bin begnadet.“
Das war der Moment, in dem er erstmals nicht mehr über ihre Worte lachen konnte. Es wäre zu schön, wenn sie wahr wären.
Ihr Blick schweifte weiter über seine umfangreiche Büchersammlung. „Bukowski, Bukowski, Bukowski. Wow. Ich wusste nicht, dass er so viele Bücher geschrieben hat.“
„Es waren einige. Ich habe sie alle. Seine Wortwahl ist nicht mein Stil, aber in seinen Texten habe ich Teile von mir gefunden, die mich annehmen ließen, er sei wie ich.“ Samuel stützte eine Hand auf Kopfhöhe im Türrahmen ab und rezitierte aus ‚Und außerdemist die Miete zu hoch’.
„Die Nächte sind schlimm,
die Nächte sind sehr schlimm.
Ich trinke bis zum Umfallen
ich betäube mich, um
schlafen zu können.
Am Morgen, beim Frühstück
sehe ich, wie sie auf der Straße
die Leichen wegschaffen
in der Zeitung steht davon
nie ein Wort.“
„Hattest du recht?“, fragte Helena. Ihre Finger verweilten auf einem der Gedichtbände, strichen den Buchrücken entlang. „War er wie du?“
„Nein. Er hielt mich für einen Psycho, nannte mich ein Arschloch – zwar mit beeindruckender Fantasie, aber darum erst recht ein Arschloch –, lauteten seine Worte, und er empfahl mir eine Nase Koks und seine bevorzugte Whiskysorte, um mein Problem in den Griff zu bekommen.“ Er musste grinsen, als er an den kurzen Briefwechsel mit dem Schriftsteller dachte. Helena versuchte, seine Belustigung nachzuahmen, aber es gelang ihr nicht. Das Lächeln zerrte an ihren Lippen. In ihren Augen stand deutlich, was sie dachte, ihn aber nicht hören lassen wollte: ‚Dann bist du ganz allein.‘
„Möchtest du etwas trinken?“, fragte er rasch, um sie abzulenken. „Ich kann dir allerdings nur Cola anbieten.“
„Cola ist okay.“
Leider folgte sie ihm in die Küche und setzte sich auf die Arbeitsplatte. Der Hund blieb in der Tür sitzen. Das Tier starrte immer noch hauptsächlich an ihm vorbei, gönnte ihm nur hier und da einen knappen Blick, als wäre Samuel ein Möbelstück, dessen Anwesenheit man nicht ignorieren kann, aber noch weniger beachten muss.
Unbehaglich schob Samuel die Kühlschranktür ein kleines Stück auf, hoffend, dass die Flasche durch den knappen Spalt passen würde. Dummerweise machte er Helena damit erst aufmerksam.
„Versteckst du darin das konzentrierte Chaos einer Junggesellenwohnung?“ Sie zog die Kühlschranktür auf und schlug angesichts der gähnenden Leere, die zwei einsame Flaschen Coca Cola umgab, die Zähne zusammen. „Oh. Ich verstehe.“
„Es könnte schlimmer sein, oder?“, meinte Samuel. „Zumindest lebt darin nichts.“
Helena nickte, öffnete zwei weitere Schränke und begegnete weiterer Leere. Dann trat sie zu
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