Benkau Jennifer
über ihr Haus anzustellen. Es musste ein Zusammenhang bestehen. Sie schrieb eine E-Mail an ihren Vermieter und erkundigte sich so diskret wie möglich nach dem Vormieter. Möglicherweise war dieser dort gestorben und machte nun als Quälgeist das Haus unsicher.
Mit Samuel sprach sie nicht darüber. Als ungekrönter König der auf sich geladenen Schuld würde er sich und seinen Fluch für ihre Albträume verantwortlich machen. Helena sah allerdings keinen Zusammenhang, denn sie träumte nie von ihm, sondern immerzu von dieser anderen Welt. Einer Welt aus Wald und Nebel und Angst. Geisterträume, die Ängste eines Verstorbenen, die in den Mauernihres Hauses hin und her echoten.
Ihn damit zu beunruhigen kam nicht infrage, begann er doch erst, sich in ihrer Nähe zu entspannen und mehr von sich zu zeigen, als sie bislang hatte sehen dürfen. Hin und wieder ließ er sie vergessen, dass er mehr war, als ein junger Mann, der klassische Musik ebenso liebte wie Rock, und sich in einem Museum genauso heimisch fühlte, wie in einer angesagten Sushi-Bar. Am liebsten jedoch war er mit ihr allein. Gelegentlich schien es Helena, als würden die Blicke zur Uhr an Häufigkeit nachlassen, solange sie auf die Zeit achtete.
Natürlich war der Gedanke, dass er seine Nächte vor einem Höllentor verbringen musste, in welches man ihn zu locken versuchte, grausam. Selbstverständlich wurde sie von Bildern verfolgt, in denen er seinen Körper tötete und kurz darauf verbrannte. Jeden Abend, wenn sie sich nach zu kurzer Zeit wieder trennen mussten, kämpfte sie gegen die Tränen an, wenn sie an das kalte, sterile Badezimmer dachte, in dem er es tat. An die nackte Glühbirne, die von der Decke baumelte, sowie die Rußschatten in der Badewanne. An die Ahnung von einem Geruch nach verbranntem Fleisch und viel, viel Raumdeodorant, mit dem er dies zu überdecken versuchte. Er hatte ihr den Raum nicht zeigen wollen, so war sie heimlich hineingegangen. Später wünschte sie, sie hätte es nicht getan.
Der Kühlschrank war inzwischen spartanisch gefüllt, auch wenn sie wusste, dass er tagsüber nichts anrührte und auch abends nur ihr zuliebe, damit sie nicht allein essen musste. Er riss Witze darüber, dass so manches Model ihre Seele für einen solchen Fluch hergeben würde, und er im Grunde den Vorteil vergeudete, alles essen zu können, ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen, oder sich ansonsten körperlich zu verändern. Helena fand das weniger komisch, lachte trotzdem, und erwiderte, dass man sie in zwanzig Jahren um ihren jungen Liebhaber beneiden würde. Auf die ihm ganz eigene Art amüsierte er sich köstlich darüber, und Helena kaufte es ihm ab. Wenn er über die Jahre etwas perfektioniert hatte, dann waren es die Musik und sein makaberer Humor.
An einem Donnerstagmorgen in der nächsten Woche beschloss der Herbst, seine ungemütliche Seite zu präsentieren. Es regnete in Strömen. Auf der Fahrt nach Freiburg musste Helena mehrmals anhalten und die beschlagene Windschutzscheibe abwischen, weil das Lüftungsgebläse nicht ausreichte.
„Du atmest zu viel, hör sofort auf damit“, schalt sie die hechelnde Cat und zog ihr liebevoll am Ohr. Ehe sie wieder losfuhr, entdeckte sie auf dem Gehsteig ein altes Ehepaar. Arm in Arm schmiegten sich die beiden unter einem geblümten Regenschirm aneinander, hielten sich an den freien Händen und strahlten abwechselnd sich und die Welt um sie herum an. Als der Mann sich vorbeugte und seiner Frau einen Kuss auf die Nasenspitze gab, bekam Helena feuchte Augen. Sie klopfte an die Scheibe und malte mit dem Finger ein Herz in das beschlagene Seitenfenster, als der Mann zu ihr sah. Er lächelte und flüsterte seiner Frau etwas ins Ohr, diese sah auf und winkte in Helenas Richtung. Stille Glückseligkeit stand in ihrem Gesicht, dann griff sie nach der Hand ihres Mannes und nickte Helena noch einmal zu, ehe die beiden weiterschlurften. Dass der Gehstock der Frau weiß war, realisierte Helena erst, als sie die Blindenbinde an ihrem Oberarm wahrnahm.
„Was die wohl schon alles zusammen erlebt haben“, sagte sie zu Cat, doch die leckte sich die Schnauze und ließ die Zunge danach unbeeindruckt hängen. „Du bist ein unromantisches Ding. Hast du das Vertrauen in ihrem Gesicht nicht gesehen? Und die Freude, obwohl sie blind ist? Ob man weiß, was der andere denkt, wenn man so lange zusammen ist? Ob sie durch seine Augen sehen kann?“
In diesem Augenblick kam ihr eine Idee.
Am Nachmittag bat sie Toni,
Weitere Kostenlose Bücher