Benson, Amber - Jenseits GmbH 1 - Lieber Tod als Teufel
Sie saß in einem der beiden fein gearbeiteten gotischen Polsterlehnstühle, die schon länger in ihrem Zimmer standen, als ich auf der Welt war. Etwas an ihnen erinnerte mich sogar an meine Mutter: ordentlich und feingliedrig, aber stark genug, um auch mit den dicksten Ärschen fertig zu werden.
„Callie“, sagte meine Mutter erneut, trat auf mich zu und umarmte mich.
Sie roch intensiv, aber nicht aufdringlich nach Chanel No. 5. Ich spürte, wie ihr Herz in ihrer Brust hämmerte wie ein winziger Specht. Sie kam mir sogar noch kleiner und zerbrechlicher vor als in meiner Erinnerung, aber vielleicht lag das auch nur daran, dass ich lange von zu Hause fort gewesen war und Menschen einem in der Erinnerung immer größer erscheinen als im wirklichen Leben, da man ihre Stärken überzeichnet, wenn sie nicht da sind.
Sie löste sich aus der Umarmung und musterte mich. Ich nahm mir einen Augenblick Zeit, um sie ebenfalls zu betrachten, wobei mir ihr hellrosa Seidenkimono auffiel. Offenbar handelte es sich um ihren Morgenmantel und wahrscheinlich um ein Geschenk meines Vaters – sein Geschmack war unverkennbar. Mutters goldenes Haar wurde von einer Perlmutthaarspange zusammengehalten, und sie trug praktisch kein Make-up.
Sie sah nicht einen Tag älter als dreißig aus.
Nun biss sie sich auf die Unterlippe, nahm meine Hand und drückte sie fest. „Ich bin so froh, dass du gekommen bist. Ich hatte Angst … Angst, dass …“ Sie geriet ins Stottern, doch dann rang sie sich ein angespanntes Lächeln ab. „Ich hatte Angst, dass du nicht kommen würdest.“
Ich schluckte. Was sollte ich darauf antworten? Einerseits verstand ich die Sorge meiner Mutter, andererseits … Wie hatte sie nur annehmen können, ich würde nicht kommen? Er war schließlich mein Vater, nicht wahr?
„Natürlich bin ich gekommen. Wir sind doch eine Familie. Es ist doch so eine Art Gesetz oder so, dass wir in schweren Zeiten zusammenhalten müssen, hab ich recht?“
„Es freut mich, dass du so denkst“, sagte jemand hinter mir.
Ich wandte mich um und sah einen alten Mann in einer langen Priesterrobe, der die Tür zum Badezimmer meiner Mutter hinter sich schloss. Ich hörte noch das letzte Gurgeln der Toilettenspülung, als die Tür ins Schloss fiel.
„Pater McGee.“
Der normalsterbliche Rechtsanwalt meines Vaters zwinkerte mir zu und schlang fest die Arme um mich, wobei er mich fast vom Boden hochhob. Ich konnte nur hoffen, dass er sich die Hände gewaschen hatte. Er war seit jeher ein kleiner Mann, aber da er jeden Tag seines Lebens mit Gymnastikübungen begann, war er ein kleiner und muskulöser Mann. Irgendwie war ich froh, dass ich immer noch all die drahtigen Muskelstränge unter seiner langen schwarzen Robe spüren konnte.
Er blinzelte mir erneut zu, als er mich losließ, und mir fiel sofort auf, wie sehr er gealtert war, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte.
Himmel, er muss inzwischen an die fünfundachtzig sein, dachte ich voller Mitgefühl. Wie er wohl mit seinem Alter zurechtkommt?
Er ging über den weichen, hellen Teppich und ließ sich im Polsterstuhl neben meiner Mutter nieder. Erleichtert stellte ich fest, dass nach wie vor ein gewisser jugendlicher Schwung in seinen Bewegungen lag.
Nachdem die erste Überraschung über sein plötzliches Auftauchen verflogen war, dauerte es nur einen Augenblick, bis mir die Bedeutung seiner Worte zu Bewusstsein kam. Ich riss den Mund auf.
„Moment mal, Leute. Versteht mich nicht falsch: Es ist toll, dass die Familie mal wieder beisammen ist und so, aber was zum Teufel meintest du damit, dass du froh bist, dass ich so denke?“ Fragend schaute ich Pater McGee an.
Meine Mutter wechselte einen Blick mit ihm, worauf der Pater sich räusperte.
„Nun, Callie, meine Liebe. Du musst wissen, dass wir uns hier in einer kleinen Notlage befinden …“
Ich hob eine Braue. „Eine kleine Notlage?“
Meine Mutter erhob sich und begann händeringend auf und ab zu gehen. „Du musst wissen, Liebes, es sieht ganz danach aus, dass …“
Pater McGee fiel ihr energisch ins Wort. „Da dein Vater vermisst wird und über keinen volljährigen Erben verfügt, der nun seinen Platz einnehmen könnte, verlangt der Teufel eine Nichtigkeitserklärung.“
Meine Mutter fing an zu weinen. „Sie wollen uns aus Haus Meeresklippe rauswerfen, Callie. Uns die Unsterblichkeit nehmen und deinen Vater in dem Elendsloch verrotten lassen, in das seine Entführer ihn wahrscheinlich geworfen haben. Wenn nicht
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