Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
fast. »Ich habe von diesem Buch gehört und seit Jahren danach gesucht!«
De Chauliac strahlte siegesgewiß. »Und heute abend werdet Ihr es sehen«, versprach er, »sobald meine anderen Gäste gegangen sind. Es erfordert ungeteilte Aufmerksamkeit. Wenn Ihr Euch zurückhalten könnt, bis wir gespeist und die Darbietungen genossen haben, werden wir es gemeinsam betrachten.«
»Dann laßt Ihr am besten eine ganze Wagenladung Süßigkeiten für meine Frau vorbereiten!« Flamel kicherte vor Eifer.
»Dafür wird gesorgt werden«, schwor de Chauliac.
Weitere Herren trafen ein, doch der Hausherr gab sich mit den Vorstellungen keine solche Mühe mehr. Dennoch verhielt er sich höchst charmant und liebenswürdig, während sich das Haus füllte und die allgemeine Fröhlichkeit zunahm. Alejandro wurde unwillkürlich davon angesteckt und fing beinahe an, sich zu amüsieren, als ein schmächtiger junger Mann, eigentlich noch ein Junge, hereinschlüpfte.
Gekleidet in die Livree eines Pagen oder Kammerdieners hielt er ein Pergament in der Hand und sah sich um. Offenbar wollte er es zustellen. Er wirkte gänzlich fehl am Platz, weit mehr als der servile Flamel, und sehr nervös.
Und dann traute Alejandro seinen Augen nicht: Auf dem Umhang des Pagen befand sich das Symbol des Hauses Plantagenet. Gebannt sah er zu, wie der Page die Wachleute in einem Französisch befragte, das eindeutig den Akzent einer anderen Sprache trug: Englisch!
De Chauliac kam herbei und streckte die Hand aus. »Darf ich annehmen, daß diese Nachricht mich betrifft?«
»Wenn Ihr, wie mein Herr sich ausdrückte, der ›berühmte und erlauchte Monsieur le Docteur de Chauliac‹ seid, dann ist sie in der Tat für Euch!«
De Chauliac strahlte. »Und an Eurem Umhang sehe ich, daß Euch der berühmte und erlauchte Prinz Lionel schickt, junger Page.«
Lionel! Der jüngere Bruder von Isabella!
Der Junge ergriff wieder das Wort. »Geoffrey Chaucer, zu Euren Diensten, berühmter und erlauchter Arzt! Ich soll Euch von meinem Prinzen von Herzen und aufrichtig einen schönen guten Abend wünschen.«
Der ältere Halbbruder Kates!
»Darf ich fragen, junger Chaucer, warum Euer Prinz diesen wohlformulierten Gruß nicht selbst überbringt – wozu ich ihn eingeladen hatte?«
»Mein Prinz bittet um Eure Nachsicht, Sir. Er bedauert, heute abend nicht hier sein zu können«, fuhr der Page fort.
Alejandros Schrecken wich allmählich, aber quälend langsam.
»Gestern noch hat er seine Anwesenheit versprochen!« De Chauliac schmollte enttäuscht. »Ich bin bekümmert und gekränkt.«
Der Page ließ sich auf ein Knie nieder und brachte noch einmal die Entschuldigung seines Prinzen vor. »Habt Mitleid mit ihm, Herr! Er liegt an einem Gichtanfall darnieder. Wegen seiner großen Schmerzen hat er gelobt, heute nacht nicht mehr aufzustehen.«
»O je«, sagte de Chauliac streng. »Junger Mann, Ihr müßt mir sagen, wenn seine Pfleger ihn mißhandeln.«
»Zum Glück nicht, Herr«, verneinte der Page. »Ich darf zur Kenntnis bringen, daß der Dauphin sich höchstselbst um Lord Lionels Wohlergehen kümmert. Und um das unsere, die wir keine Mitglieder des Königshauses sind, und uns daher weniger Luxus zusteht. Aber wir alle finden die Unterbringung überaus zufriedenstellend.«
De Chauliac winkte dem Pagen Chaucer, sich zu erheben. Er war eindeutig erfreut, daß Lionel den Pagen angewiesen hatte, ihn so wortreich zu entschuldigen. »Gut«, sagte er. »Darüber bin ich sehr erleichtert. Aber wir Franzosen haben die Kunst, unsere Gefangenen mit Zartgefühl und Zuvorkommenheit zu behandeln, ja auch hoch entwickelt, nicht wahr?« Obwohl de Chauliac den Blick nicht von Lionels Pagen wandte, wußte Alejandro, daß dieser Kommentar niemand anderem als ihm selbst galt.
Chaucer schien nur zu beflissen, ihm beizupflichten. »In der Tat, Herr, die Franzosen behandeln uns … durchweg zuvorkommend. «
De Chauliac lachte. »Der Dauphin hat mich beauftragt, für Prinz Lionels Gesundheit und Lebensfreude zu sorgen, solange er auf unserem Boden weilt. Offenbar habe ich versagt, und es tut mir aufrichtig leid. Oh!« fuhr er mit großer Geste fort. »Welche Schande! Wir können den guten Prinzen nicht zu seinem lieben Vater zurücksenden, wenn seine Gesundheit durch unser üppiges französisches Leben angegriffen ist, nicht wahr? Nein, nein! Dem muß abgeholfen werden.«
»Wenn Ihr ein Heilmittel gegen die Gicht kennt, guter Arzt«, flehte der Page, »dann verratet es mir zum Nutzen
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