Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
nach dem anderen erschienen die prächtig herausgeputzten Festgäste zu dem Schlemmermahl, das de Chauliac für sie hergerichtet hatte, und Alejandro wurde jedem so vorgestellt wie vereinbart. Als sechs Herren bereits in ein Gespräch vertieft waren, trat ein kleiner, korpulenter Mann, weit weniger eindrucksvoll gekleidet als die anderen, durch die Tür. Alejandro war überrascht zu sehen, daß de Chauliac diesem Ankömmling die allergrößte Aufmerksamkeit widmete.
Die Begrüßung war fast übertrieben beflissen. »Ah, Monsieur Flamel«, säuselte de Chauliac, »ich bin entzückt über Euer Erscheinen! Fast fürchtete ich, Ihr würdet heute abend nicht unter uns sein.«
Während er seinen Umhang einem Diener überließ, entschuldigte sich Nicholas Flamel: » Je regrette, Monsieur le Docteur, meine Verspätung. Sie war unvermeidlich. Meine Frau, wißt Ihr, hat es nicht gern, wenn ich sie allein lasse.« Der kleine Mann verneigte sich ungeschickt und allzu tief, und Alejandro erinnerte sich an sein eigenes linkisches Verhalten an Edwards Hof; damals hatte Kate, kaum sieben Jahre alt, es auf sich genommen, ihm die Feinheiten höfischen Verhaltens beizubringen.
Eine Zeitlang war sie meine einzige Freundin, erinnerte er sich.
Flamel erging sich in weitschweifigen Erklärungen, obwohl Alejandro de Chauliac ansah, daß dieser darauf gerne verzichtet hätte.
»Ich war gezwungen, mich um sie zu kümmern, ehe sie mir gestattete, sie zu verlassen.«
»Ich verstehe ihren Zorn über den Verlust Eurer anregenden Gesellschaft. Wir werden dafür sorgen, daß Ihr mit einem Arm voller Süßigkeiten nach Hause geht, um ihre Stimmung zu heben. Eine solche Geste wird sie gewiß entschädigen.«
»Nur, wenn ich sie Stückchen für Stückchen selbst damit füttere«, bekannte Flamel kichernd.
Wieder eine unnötige Bemerkung, aber de Chauliac ging darauf ein. Aus einem Grund, den Alejandro nicht erraten konnte, schien er Wert auf die Aufmerksamkeit des seltsamen kleinen Mannes zu legen. »Dann gestattet mir, Euch dazu zu ermutigen«, sagte de Chauliac augenzwinkernd. »Hoffentlich werdet Ihr an dieser Aktivität auch selbst Gefallen finden.« Er nahm Flamel beim Arm und zog ihn zu Alejandro. »Und nun möchte ich Euch einen weiteren Kollegen vorstellen, den ehrenwerten Doktor Hernandez, einen Mann, den ich fast so schätze wie Euch – denn auch er ist besonders gelehrt und weise. Aber wie sollte es auch anders sein? Er war einst mein Schüler.«
»An der Universität?« fragte Flamel überraschend.
Und ehe de Chauliac die gefährliche und unerwartete Richtung des Gesprächs ändern konnte, mischte Alejandro sich ein: »In Avignon. Im ersten Jahr der Pestilenz.«
Flamels Gesicht wurde neugierig. »Wart Ihr einer von denen, die Seine Heiligkeit, Papst Clemens, er möge in Frieden ruhen, ausgesandt hat?«
Während de Chauliac ihn sprachlos vor Entsetzen beobachtete, lächelte Alejandro und sagte: »Richtig. Ich war einer von ihnen.«
»Wie interessant! Und an welchen Hof wurdet Ihr geschickt?« fragte Flamel lebhaft.
Er sah, wie die Farbe aus de Chauliacs Gesicht wich, und lächelte innerlich. Eure Schachzüge zeitigen nicht immer die Ergebnisse, die Ihr wünscht, mein Freund, dachte er bei sich. »Ich bin viel umhergezogen. Die Wanderschaft steckt mir, könnte man wohl sagen, im Blut!«
Bei dieser geschickten Antwort schien de Chauliac etwas von seiner Fassung zurückzugewinnen. »Ich möchte Euch unbedingt ein Manuskript zeigen, das Doktor Hernandez mitgebracht hat«, wandte nun er sich an Flamel, »denn es enthält alchimistische Symbole in der Sprache der Juden und wird Euch sicher faszinieren.«
Flamels rotes Gesicht platzte fast vor Erregung. Er sprach beinahe mit Schaum vor dem Mund. »Jetzt weiß ich endlich, worin die Überraschung besteht, die Ihr in Eurer Einladung andeutetet!« Er lächelte breit. »Wahrhaftig, Monsieur, zuerst habe ich den Grund Eurer Verbindlichkeit gar nicht verstanden. Das ist mehr, als ich erhofft hatte!« Für einen Augenblick schien er nachdenklich, doch dann zeigte sich wieder seine große Anteilnahme. »Allmächtiger«, setzte er an, » Monsieur de Chauliac … darf ich zu hoffen wagen … daß es das Manuskript eines gewissen Abraham ist?«
De Chauliac gab sich unwissend, sah Alejandro an und tat geheimnisvoll. Mit hochgezogenen Augenbrauen fragte er: »Kollege?«
Alejandro sank das Herz. »Ja, das ist es«, gab er schließlich Auskunft.
»Preis sei allen Heiligen!« Flamel schrie
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