Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
können noch immer kommen und gehen, wie es ihnen gefällt.« Er schaute aus dem Fenster und schätzte die Zeit. »Ich denke, es ist vielleicht angebracht, daß Ihr jetzt in Eure Kammer zurückkehrt«, ordnete er an. »Obwohl ich unser anregendes Gespräch eigentlich nicht mehr lange hinausschieben möchte. Ihr solltet eine Weile ruhen und Euch dann fertigmachen.«
Wofür? fragte sich Alejandro, als die Wachen ihn hinausschoben.
Etwa eine Stunde später erschien de Chauliac persönlich, um Alejandro wieder nach unten zu geleiten. »Ihr seht recht gut aus, Arzt!« Er tätschelte seine Schulter. »Aber schon damals habt Ihr eine gute Figur gemacht, als ich Euch fein ausgestattet nach England schickte. Ihr habt mit den vergehenden Jahren Euren Schwung nicht verloren. Ich muß sagen, man käme niemals darauf, daß Ihr Jude seid.«
Ihr seid auch nicht darauf gekommen, dachte Alejandro. Aber er behielt den Gedanken für sich, denn er würde seinen Gastgeber nur reizen, und er wollte ihn so friedlich wie möglich sehen. Es würde seinen Zwecken nicht dienen, de Chauliac heute abend aufzubringen.
Als könne er Alejandros Fluchtgedanken lesen, sagte der Franzose: »Ich will Euch den Gefallen erweisen, Euch zu warnen. Versucht nicht, während ich mich meinen Gästen widme, von hier fortzulaufen. Heute nacht werden viele Wachen Posten beziehen. Ihr könnt Euch im Haus bewegen wie jeder andere Gast, aber man wird Euch im Auge behalten. Aufmerksam! Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Durchaus«, gab Alejandro zurück.
»Nun, was die Vorstellung angeht, so werde ich Euch den anderen Gästen als Dr. Hernandez präsentieren.«
Gibt es unter Euch irgendwelche Juden? erinnerte er sich, de Chauliac vor Jahren fragen gehört zu haben. Dieses elegante Scheusal sah kaum anders aus als damals im Papstpalast in Avignon, wo er vor allen Ärzten von Avignon gesprochen hatte, denen es irgendwie gelungen war, der Pest zu entgehen. Falls ja, tretet vor! Das hatte Alejandro nicht getan, sondern sich statt dessen als sein Gefährte ausgegeben – als Spanier Hernandez, den ihm erst am Vortag die gefürchtete Pest genommen hatte. Er erinnerte sich, wie er, von dem schmerzlichen Verlust noch völlig betäubt, voller Neid zugesehen hatte, wie man die anderen Juden entließ: man hielt sie für ungeeignet, Seiner Heiligkeit, Papst Clemens VI., zu Diensten zu sein. Von ganzem Herzen und aus ganzer Seele hatte er damals gewünscht, sein Fuß hätte den Schritt getan, nach dem ihn verlangte. Einen Schritt, der ihn auf einen völlig anderen Weg geführt hätte.
De Chauliac bemerkte seine Unaufmerksamkeit nicht und fuhr mit seinen Warnungen fort. »Ich vertraue darauf, daß Ihr mich nicht in Verlegenheit bringen werdet, denn eine solche Torheit würde zu nichts Gutem führen. Laßt Euch raten, die Gesellschaft einfach zu genießen – denn Ihr werdet dergleichen nicht so bald wieder erleben.«
»Und wenn jemand nach unserer Beziehung fragt?«
»Dann werden wir wahrheitsgemäß einfach sagen, daß Ihr ein früherer Schüler von mir seid, der jetzt Bedeutung erlangt hat in seinem eigenen Land.« De Chauliac lächelte süßlich und fügte hinzu: »Vielleicht sollten wir sagen, daß Ihr zu einem Besuch bei Eurem Mentor nach Paris zurückgekehrt seid. Was ja nicht völlig unwahr ist …«
Abgesehen davon, daß ich nur unter extremem Protest hier bin.
»Weiter gibt es nichts zu sagen. Aber zweifelt nicht daran, daß Ihr große Unannehmlichkeiten erleben werdet, wenn Euer Verhalten mir irgendwie Schande bereiten sollte.«
Nach diesen Ermahnungen drehte de Chauliac sich um und ging voran. Alejandro folgte, in Gedanken rasende Pläne schmiedend.
Das ganze Gebäude erstrahlte im Schein von Fackeln und Kerzen, und die Luft war erfüllt von Musik, nicht den seltsamen, unheimlichen Klängen, die man in den Kirchen des christlichen Gottes hörte, sondern von lebhafteren und eher profanen Melodien. Überall duftete es nach den seltenen Gewürzen und exotischen Kräutern, die de Chauliacs Köche benutzt hatten, um den Gaumen der Gäste zu kitzeln. An der Eingangstür standen zwei livrierte Diener, und im ganzen Haus sah Alejandro viele weitere, weit mehr als nötig gewesen wären, um ihn zu bewachen. Reglos und grimmig verharrten sie an allen möglichen Ausgängen, wie de Chauliac angekündigt hatte. Jedesmal, wenn er nach ihnen sah, stellte er fest, daß sie ihn beobachteten und wie prophezeit darauf warteten, daß er etwas Törichtes unternähme.
Einer
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