Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
Rohlinge, ja Tiere – sie können nichts anderes sein.«
Mit unglaublicher Zärtlichkeit wischte sie das Blut von seinen Fingerknöcheln. »Ich bin kein Kind mehr, Père! Muß ich Euch das wieder sagen? Meine Kindheit liegt tausend Jahre zurück. Und Ihr habt Karle damals vertraut, also müßt Ihr ihm auch jetzt vertrauen.«
Muß ich? fragte er sich. Ist das meine einzige Möglichkeit? Er überlegte, wie er ihr diese Frage stellen sollte. Sollte er einfach sagen: » Würdest du den einen oder den anderen von uns wählen? Wenn du dazu gezwungen wärst, würdest du dann mit ihm gehen – ohne mich? «
Er sah zu, wie sie seine Finger mit all der Geschicklichkeit und Sanftheit behandelte, die er sie gelehrt hatte. Es waren nicht mehr die rundlichen, mit Grübchen versehenen Hände eines Kindes, sondern die schlanken, starken Hände einer Frau. Sie strahlte ein verborgenes Glück aus, das er nie zuvor an ihr bemerkt hatte. Aber sie kannte ja diese Art von Liebe zu einem Mann noch nicht, erklärte er sich dann.
»Er hat also gut für dich gesorgt?«
»Besser, als Ihr Euch vorstellen könnt.«
Besser, als ich wissen möchte.
Als sie endlich wieder wie normale Bürger aussahen und ihre inneren und äußeren Wunden halbwegs versorgt waren, entschieden sie, Paris so bald wie möglich zu verlassen – am besten noch vor Sonnenuntergang.
»Aber da gibt es eine Schwierigkeit – ich kann mein Pferd nicht holen«, sagte Alejandro. »Womit sollte ich es auslösen? Mein Gold ist natürlich bei de Chauliac geblieben.«
»Ich habe nicht viel von Eurem Gold gebraucht, Arzt«, sagte Karle. Er griff in die Tasche, nahm den Beutel heraus und hielt ihn ihm eifrig hin, als würde dieser Beweis seiner Sparsamkeit ihn in Alejandros Augen erhöhen.
Und das tat es. »Gut gemacht, Karle«, lobte er, während er die Münzen zählte. »Aber was ist mit Euren eigenen Pferden?«
Karle ging zu dem Gaul, auf dem Alejandro in die Freiheit geritten war, musterte das große Tier, fuhr ihm mit den Händen über den langen Hals, sah sich seine Hufe und Knöchel an. »Das scheint ein anständiges Reittier zu sein, de Chauliacs Stallknecht hat es gut gepflegt. Es könnte zwei Personen tragen.« Er sah Alejandro an und fügte hinzu: »Ich schlage vor, wir holen Euer Pferd ab und lassen die anderen zurück. Kate kann bei« – er wollte schon mir sagen, beendete den Satz aber anders – »einem von uns mit aufsitzen. Dann haben wir immer noch genug Gold übrig, um für andere Bedürfnisse zu sorgen.«
»Ein vernünftiger Plan«, stimmte Alejandro zu. Er seufzte tief.
»Zum erstenmal in meinem Leben bin ich ein bettelarmer Mann.«
Er sah zu Kate und Karle auf. »Ich habe mein Vermögen immer gehütet, als sei ich arm, aber seine Sicherheit war stets da – im Gegensatz zu jetzt. Wie soll ich nur weitermachen …« Er wandte sich mit einem entschuldigenden Lächeln an Kate. »Es tut mir leid, Tochter, ich hatte immer gehofft, ich könnte gut für dich sorgen.«
»Das hast du getan, Père. Wir werden niemals arm an Wissen sein.«
»Aber das Wissen werden wir leider nicht essen können.«
»Das ist sicher nicht nötig, denn solche Entbehrungen werden uns erspart bleiben.«
Karle unterbrach sie und zeigte auf den Horizont, wo die Sonne über den Dächern sank. »Und dieser bettelarme Mann rät Euch, daß wir Paris verlassen sollten, bevor sie untergeht!«
Geoffrey Chaucer stand vor der aufgebrachten Gräfin Elizabeth und beteuerte seine völlige Unschuld. »Ich flehe Euch an, Madame, so glaubt mir doch! Sein böser Plan hat mich noch mehr düpiert als Euch!« Er war beschämt und gedemütigt, ganz der törichte Knabe, den ein boshafter, schlauer Mann von größerer Erfahrung in der Welt bewußt ausgenutzt hat.
Chaucer erhielt seine Strafpredigt im Schlafgemach der Gräfin inmitten hektischer Geschäftigkeit der Dienerschaft – denn als die versetzte Elizabeth schäumend von ihrem fehlgeschlagenen Rendezvous im Rosengarten des Dauphins zurückgekehrt war, hatte sie befohlen, sofort alle von Alejandro eingeführten Änderungen zum Nutzen ihrer Gesundheit und der ihrer Familie rückgängig zu machen. Bring meine Bettdecke aus Hermelin zurück, hatte sie ihre Dienerin angewiesen. Flöhe hin, Flöhe her! Ich will nicht an ihn erinnert werden. Und sagt dem Koch, er solle so üppige Speisen bereiten, wie es ihm gefällt – wir werden diese abscheuliche Gemüsediät nicht länger einhalten!
Irgendwie schaffte es Chaucer, inmitten dieses ganzen
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