Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
Hinter einem Baum, von der Straße aus nicht zu sehen, wartete Kate.
» Père! « schrie sie auf, als sie aus ihrem Versteck schlüpfte. Sie rannte über das Pflaster des Hofes und fiel Alejandro in die Arme, während Guillaume Karle das Tor schloß.
Und als Alejandro sie so umfangen hielt, zog jede Minute ihrer gemeinsamen Zeit noch einmal an seinem inneren Auge vorbei, von dem Moment an, in dem sie das Schiff nach Frankreich bestiegen hatten, bis zu dem Augenblick, als er sie hinter der Hütte, wo Karle sie ausfindig gemacht hatte, zum letzten Mal küßte. Endlich ließ er sie los, hielt sie auf Armeslänge von sich und starrte ihr in die Augen. Sie waren so leuchtend blau wie immer, und jetzt standen Freudentränen darin. Er streichelte ihr goldenes Haar und fühlte es durch seine Finger gleiten wie tausendmal zuvor. Dann berührte er ihre Wange und spürte die vertraute Wärme. Während seiner Musterung flossen seine Tränen. »Du bist wohlauf. Gott sei Dank. Deinem Gott. Meinem Gott. Allen Göttern, die es je gegeben hat oder geben wird!« Abermals umarmten sie sich, wiegten sich gegenseitig. Vater und Tochter waren endlich wieder vereint.
Nachdem er das Pferd angebunden hatte, warf Karle seine schmutzigen Verbände ab und trat hinter Kate, lächelnd, begierig, die Hand seines Fluchtgefährten zu schütteln. »Wahrhaftig, der Höchste sei gepriesen, Arzt, wir dachten, wir würden nie …«
Ganz plötzlich fand der brünette Franzose sich mit dem Rücken an einer Mauer wieder, und der Arzt, den er soeben befreit hatte, schlug wild auf ihn ein. Kate stürzte sich vorwärts und schrie:
» Père! Lieber Himmel – o Karle, er weiß nicht, was er tut – ich fürchte, seine Gefangenschaft hat ihn um den Verstand gebracht.«
Und Alejandro schrie: » Deine Frau, du nennst sie deine Frau, du Elender! Wenn ich mit dir fertig bin, können sie dich in deiner christlichen Hölle willkommen heißen! «
Endlich gelang es Kate, sich zwischen sie zu drängen, und als er ihr zartes Gesicht sah, hielt Alejandro mitten im Schlag inne; seine Hand war nur wenige Haaresbreiten von ihrer Nase entfernt. Sie griff danach, zog sie an den Mund und küßte seine blutenden Fingerknöchel. Leise weinend flüsterte sie: » Père, o Père, was hat man Euch nur hintertragen?«
»Diese Lumpen erweisen sich nun als nützliche Geldanlage«, sagte Kate, während sie das Blut von Guillaume Karles Gesicht tupfte. Sie spuckte auf den Fetzen, den sie in der Hand hielt, und wischte ihm zärtlich über seine Stirn. Karle hielt still, zuckte aber zusammen, als sie mit dem Tuch über einen von Alejandros tobender Faust beigebrachten Riß fuhr. Gräfin Elizabeths Ring hatte eine blutende Wunde auf seiner Wange hinterlassen.
Der Jude saß benommen da und beobachtete verdattert, wie Kate den christlichen Mann versorgte, den Schurken, dessen widerstrebender Obhut er sie anvertraut hatte – den Rebellen, um dessen Pflege sie sich jetzt selbst kümmerte. Sie benimmt sich unbestreitbar wie eine Ehefrau, gestand Alejandro sich ein, und sein Inneres bebte.
Dabei war es doch nur eine kurze Zeit gewesen, ein paar Wochen höchstens – oder sogar noch weniger? Nein, sicher mehr – in Wirklichkeit vermochte er nicht genau zu sagen, wie lange er sie nicht mehr gesehen hatte. Lange genug, damit sie diesen Mann liebenlernen konnte und er sie! Zu lange für ihn, den Vater, um noch seine Rechte behaupten zu können: »Bleibe bei mir, Tochter, denn ich bin doch dein Vater und Hüter!« Sie hatte gelernt, sich selbst zu hüten, und im folgenden, sich hinzugeben. Er war nicht bei ihr gewesen, um sie daran zu hindern. Und jetzt schien es zu spät …
In seiner neuen Freiheit, das erste Mal seit viel zu langer Zeit, fiel ihm dann nichts Besseres ein, als den Mann zu attackieren, der ihn befreit hatte: wegen eingebildeter Missetaten gegen seine Tochter, die allem Anschein nach von seinem eigenen Verhalten mehr verletzt war als von dem Karles!
Als Karles Wunden versorgt waren, drehte Kate sich nach Alejandro um und musterte seine Hände. »Was habt Ihr Euch nur gedacht, Père? Ihr hättet fast Eure Hände ruiniert. Eure wunderbaren, kundigen Hände.«
Er richtete seinen leeren Blick auf sie und flüsterte: »Ich habe mir mein Kind in den Armen eines Rohlings vorgestellt.«
»Aber er ist kein Rohling, Père. Ihr wißt das. Warum sonst hättet Ihr mich in seine Obhut gegeben?«
»Du mußt verstehen, Kind, für mich sind alle Männer, die dich auch nur ansehen,
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