Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
beladen waren, kamen sie in den Straßen von Paris nur langsam voran – aber sie dachten an ihr Ziel. Wenn sich dieser Tag neigte und alles gut verlief, dann würden sie sich außerhalb der Stadtmauern auf dem Lande einen Ort suchen, der ihnen als Hauptquartier für die Planung der zukünftigen Schlacht dienen konnte. Stetig schritten sie nebeneinander dahin, erfüllt von Hoffnung und froher Erwartung.
Alejandro stopfte in die Taschen und Falten seiner Kleidung soviel wie möglich, damit er in seine Satteltasche noch Abrahams Manuskript schmuggeln konnte. Die ganze Nacht hatte er mit der Entscheidung gerungen, ob es klug sei, das Buch mitzunehmen; wegen seiner Größe, seiner leicht erkennbaren Form und Schwere des ungewöhnlichen Messingeinbands stellte es eine ernste Gefahr dar. Der Papyrus war allerdings so leicht, daß er nicht ins Gewicht fiel. Alejandro wog das Für und Wider gegeneinander ab – eine willkommene Ablenkung von seinen übrigen Sorgen. Nach einigen Minuten ernster Überlegung kam er zu dem Schluß, daß kein sichtbarer Gegenstand gewichtlos sein konnte. Dann packte er weiter; ohne Zweifel wäre es ein Sakrileg gegen Abraham und alle seine Vorgänger, das Buch zurückzulassen.
Ungefähr eine Stunde vor Mittag hörte man im ganzen Haus das erwartete Läuten der Glocke. Ein paar Augenblicke später erklangen de Chauliacs Schritte auf der Treppe, schwer vor Erbitterung über einen weiteren unerwünschten Hilferuf. Der Franzose rauschte in Alejandros Kammer und sank auf einen Stuhl.
»Sie ist wieder blaß. Könnt Ihr nicht etwas Farbe in die Wangen dieser Dame bringen, damit wir einmal einen Arbeitstag ohne Unterbrechung haben?«
»Dazu kenne ich nur eine sichere Methode, außer, daß sie sich selbst mit ihren Fingernägeln in diese Wangen kneift. Und einen solchen Rat würde sie unfreundlich aufnehmen. Sie würde sich beim Dauphin beschweren. Mir können solche Klagen zwar nicht schaden, Euch aber ganz gewiß, Kollege.«
»Ich bereue den Tag, an dem ich diesen Chaucer eingeladen habe, mit uns zu speisen!«
»Oh, seid gnädig, de Chauliac. Man darf den Überbringer widriger Nachrichten nicht gleich erdolchen.«
»Diesen speziellen Überbringer würde ich aber nur zu gern beseitigen.«
»Dann wäre die Welt um einen sehr klugen jungen Mann ärmer.«
»Er ist ein Page. Die Welt würde ihn nicht vermissen. Ich dagegen vermisse die Ruhe meiner Tage aufs schmerzlichste. Sie will, daß wir sofort kommen. Chaucer wartet im Vorraum auf uns.«
Alejandro wischte seinen Federkiel ab und schloß vorsichtig das Buch. »Dann muß ich mich nur ein wenig frisch machen, ehe wir aufbrechen. Richtet ihm aus, ich brauche nur einen Augenblick.«
Langsam erhob sich de Chauliac, als quälten ihn seine Knochen, und jäh bemerkte Alejandro die Falten auf der Stirn des Hausherrn.
»Ich werde im Vorraum auf Euch warten.« Er verschwand im dämmrigen Flur.
Rasch steckte Alejandro das Manuskript in die Tasche, aber es paßte nicht ganz hinein; auch die Flasche mit Schwefelwasser wollte in keine seiner Kleidertaschen passen, und er wußte nicht, wo er sie sonst unterbringen sollte. Widerstrebend nahm er das Glas also heraus und versteckte es hinten in der tiefen Schublade seines Tisches. Dann schob er das Manuskript in seine Reisetasche und zog den Riemen zu. Nach einem letzten Blick aus dem vergitterten Fenster verließ er die Kammer zum hoffentlich letzten Mal.
Chaucer nickte ihm unmerklich zu, den Kopf etwas nach rechts geneigt, und Alejandro wußte, daß die Nachricht überbracht und der Plan gebilligt worden war.
Die fünf Reiter verließen den Hof des Hauses kurz vor Mittag und bahnten sich einen Weg durch die Menge. Sie ritten langsam durch das Marktgetümmel; und obwohl die Versorgung schlecht und die Preise hoch waren, kamen doch viele Menschen, die sehen wollten, was es gab. Die meisten gingen enttäuscht nach Hause. Alejandro hatte nichts gegen das langsame Tempo, denn sein Herz klopfte wild in Erwartung der vor ihm liegenden Ereignisse. Chaucer wirkte über die Maßen unbeschwert. Nun ja, machte Alejandro sich klar, er denkt, all das sei ein harmloses Komplott, um zwei romantischen Liebenden zu einem Stelldichein zu verhelfen. Für ihn geht es nur darum, daß ein exotischer Spanier und eine adelige Dame von der Grünen Insel sich unter vier Augen sehen können.
»Ihr scheint zerstreut, Doktor«, zog der Junge ihn auf. »Habt Ihr Angst, die Dame könnte nicht da sein, wenn Ihr eintrefft?«
»O nein!
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