BENUTZT: Psychothriller
Falschaussage. Viel Zeit zum Nachdenken hatte sie allerdings nicht, da bereits ihr Einzelbild eingeblendet wurde. Die zehn Sekunden liefen rückwärts, dann begann ihre Redezeit. Sabrina versuchte ihre Mimik ruhig zu halten, was ihr auch ganz gut gelang. Selbst ihre Stimme zeigte erstaunlicherweise keine Unsicherheit. Ruhig und selbstsicher sagte sie: »Es war Wodan Döring!« Die restlichen Sekunden liefen in absoluter Stille ab, anschließend ging es ansatzlos bei Kassandra weiter. Für sie war es wesentlich leichter, und ihre Worte kamen ohne jeden Zwang aus ihrem Mund, als sie sagte: »Ich habe keine Ahnung!«
Wieder war es Nina, der man schon im Gesicht ansah, dass sie gleich lügen würde, aber sie tat es trotzdem: »Ja, es war Wodan Döring, ich habe es gesehen!« Offensichtlich spürte sie selbst, was gleich folgen würde, und eine Träne lief über ihre Wange. Wieder einmal versuchte sie an ihren Fesseln zu ziehen, doch es war hoffnungslos. In Erwartung der nächsten Schmerzen begann ihr Körper zu zittern, und trotzdem starrte sie auf den Zähler neben ihrem Monitorbild. Wie abzusehen war, schnellten zuerst die Klicks gegen sie nach oben, doch seltsamerweise begannen Sabrinas Werte ebenfalls zu steigen, und am Ende der Abstimmzeit verharrte die Anzeige bei zehn Klicks mehr gegen Sabrina. Nina entspannte sich etwas – aber zu früh, wie sich herausstellte. Dieses Mal begann die Bestrafung nicht sofort, stattdessen erklang Wodans Stimme: »Das war knapp! So knapp, dass mir meine Richter da draußen vermutlich zustimmen werden, wenn wir sowohl Nummer Eins und Nummer Drei noch einmal eine Chance geben, ihre Aussage zu überdenken.«
»Nein!«, Ninas Schrei brach sich mehrmals an den kalten Steinen des Gewölbes, doch es war zu spät. Die Motoren der Hals- und Fußfesseln verrichteten ihr seelenloses Werk und zogen die Bänder immer fester an den Stuhl. Beide Frauen wollten schreien, aber das ging nicht mehr. Fingernägel brachen bei dem Versuch, die Schmerzen der sich wehrenden Fußgelenkknochen zu kanalisieren. Augäpfel traten nach außen und wurden zu Vorboten des Erstickungstodes. Die Zeit war knapp berechnet, reichte aber gerade noch zum Überleben. Wieder setzte das Summen der Motoren ein und lockerte erst die Hals- dann die Fußfesseln. Da beide Frauen kurz vor der Ohnmacht standen, brauchte sie etwas Zeit, bis ihre Blicke wieder klarer wurden, doch eine echte Erholungspause bekamen sie nicht, denn wieder ertönte Wodans Frage: »Wer war es, der Nummer Eins vor fünfeinhalb Jahren missbraucht hat?«
Sabrina wollte nur noch raus hier! In ihrem Kopf verschwammen die Bilder und bauten sich neu zusammen. Es waren die Bilder der Leute, die sie verprügelt und dann ausgenommen hatte. In ihrem Geist grinsten sie nun die Gesichter all jener an, denen sie Unrecht angetan hatte, und das stärkste Bild war das von Wodan Döring, der damals fassungslos ihre Lüge von der Richterin vorgelesen bekam. Sie konnte nicht mehr! Alles hatte sie wieder eingeholt, und vielleicht hatte er ihr damit sogar einen Gefallen getan. Sie würde sich nie mehr selbst die Arme aufschneiden, würde nie mehr in den Qualen anderer Menschen Befriedigung suchen! Diese Entführung hatte dafür gesorgt, dass sie sich wieder selbst lieben konnte, einfach weil ihr bewusst wurde, dass nur sie selbst für ihr Leben verantwortlich war.
Trotz des Schleiers vor ihren Augen bekam sie mit, dass sie nun wieder an der Reihe war. Ohne jeden Versuch jämmerlich zu klingen und damit Mitleid zu bekommen, sagte sie: »Ich habe über fünf Jahre lang die Wahrheit verschwiegen und das nur, um ein bequemes Leben zu führen. Ich habe einem Menschen wissentlich fünf Jahre seines Lebens geraubt. Ich habe diese Strafe verdient! Es war damals nicht Wodan Döring, der mich vergewaltigt hat, es war dieser schmierige Leiter der Ausländerbehörde! Er bot uns Geld und für mich und meine Familie die deutsche Staatsbürgerschaft, wenn ich meine erste Aussage ändere und diesen anderen Mann beschuldige. Meine Freundin Nina log ebenfalls für Geld und sagte gegen Wodan Döring aus.« Sabrina machte eine längere Pause, dann sagte sie mit sicherer Stimme: »Wir sind schuldig!«
Wodan, der alles hinter der Tür mitverfolgte, war zufrieden, aber noch nicht am Ende seines Spiels. Er startete sein selbst programmiertes Befragungsprogramm, das noch aus zwei weiteren Runden bestand, zog sich seine Jacke an und verließ das Tunnelsystem.
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Keine zwei Minuten nach
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