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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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der Punkt. »Aber sie akzeptieren mich auch nicht. Es ist immer so, als ob … ich irgendwie eine andere Sprache sprechen würde. Alles, was ich sage, scheint verkehrt zu sein. Es passt nicht zu dem, was sie sagen …« Ihr war klar gewesen, wie sich das für Tom, den großen Rationalisten, anhören musste. Wie Unfug. Kompletter Unfug.
    »Unfug!«, hatte er dann auch prompt gesagt. »Ich glaube, du bildest dir das alles nur ein. Du bist eine intelligente Frau. Du bist attraktiv. Du bist beruflich erfolgreich. Du hast einen einigermaßen gut aussehenden Mann, der ebenfalls nicht ganz erfolglos ist in seinem Beruf. Du hast ein hübsches, gescheites und gesundes Kind. Woher rühren bloß deine Komplexe?«
    Hatte sie Komplexe?
    Gedankenverloren schnippte sie die Asche ihrer Zigarette aus dem Wagenfenster.
    Es gab keinen Grund, Komplexe zu haben. Zusammen mit Tom hatte sie vor fünfzehn Jahren eine Firma in London aufgebaut, die auf Steuer- und Wirtschaftsberatung spezialisiert war. Sie hatten ungeheuer schuften müssen, um das Unternehmen in Schwung zu bringen, aber die Arbeit hatte sich gelohnt: Inzwischen beschäftigten sie sechzehn Mitarbeiter. Tom hatte immer wieder betont, dass er das alles ohne Gillian nie geschafft hätte. Seit Beckys Geburt arbeitete Gillian nicht mehr täglich im Büro, hatte aber immer noch ihre eigenen Kunden, die sie betreute. Drei- oder viermal in der Woche fuhr sie mit dem Zug nach London und erledigte ihren Job. Sie besaß die Freiheit, sich ihre Zeit völlig selbstständig einzuteilen. Wenn Becky sie brauchte, ging sie einfach einen Tag lang nicht ins Büro, holte liegengebliebene Arbeit dafür am darauffolgenden Wochenende nach.
    Alles war gut. Sie hätte zufrieden sein können.
    Sie blickte in den Rückspiegel und sah ihre dunkelblauen Augen und über ihrer Stirn die rotblonden Locken. Ihre wilden, langen Haare ließen es nicht zu, dass sie jemals wirklich ordentlich aussah, und sie konnte sich nur zu gut erinnern, wie sehr sie als Kind darunter gelitten hatte: unter den Locken. Der rötlichen Farbe. Den unvermeidlich damit einhergehenden Sommersprossen im Gesicht. Dann war sie an die Universität gekommen und hatte Thomas Ward kennengelernt, ihren ersten Freund, der dann auch der Mann ihres Lebens werden sollte, die große Liebe. Er hatte ihre Haarfarbe bewundert und ihre Sommersprossen einzeln gezählt, und plötzlich hatte sie angefangen, sich selbst schön zu finden und das Besondere an ihrem Aussehen zu schätzen.
    Daran solltest du auch manchmal denken, dachte sie, an all das Gute, das durch Tom in dein Leben gekommen ist. Du bist mit einem wunderbaren Mann verheiratet.
    Sie hatte ihre Zigarette zu Ende geraucht und überlegte, ob sie ins Büro fahren sollte. Es wartete eine Menge Arbeit auf sie, und aus Erfahrung wusste sie, dass Arbeit am besten gegen das Grübeln half. Sie beschloss, zu Hause noch eine letzte Tasse Kaffee zu trinken, sich dann umzuziehen und auf den Weg nach London zu machen.
    Sie startete ihren Wagen.
    Vielleicht sollte sie sich wieder einmal mit Tara Caine treffen. Ihre Freundin arbeitete als Staatsanwältin in London und war – laut Tom, der sie nicht besonders mochte – eine radikale Feministin. Auf jeden Fall taten Gillian die Gespräche mit ihr gut.
    Bei ihrem letzten Treffen hatte Tara ihr auf den Kopf zugesagt, dass sie in einer handfesten Depression steckte.
    Vielleicht hatte sie recht.
    2
    Samson hatte lange nach unten gelauscht, und erst als er ganz sicher war, dass sich niemand im Treppenhaus aufhielt, huschte er auf Strümpfen hinunter. Er wollte möglichst schnell und ungesehen in seine Schuhe und in seinen Anorak kommen und dann nach draußen entschwinden, aber als er gerade vornübergebeugt dastand und sich die Schnürsenkel zuband, ging die Küchentür auf und seine Schwägerin Millie erschien. Die Art, wie sie sich auf ihn zubewegte, erinnerte Samson an einen Raubvogel, der eine Beute erspäht hat.
    Er richtete sich auf.
    »Hallo, Millie«, sagte er unsicher.
    Millie Segal gehörte zu den Frauen, denen, noch ehe sie überhaupt die vierzig erreicht haben, bereits die zweischneidige Beschreibung Sie ist sicher einmal hübsch gewesen anhaftete. Sie war blond, hatte eine gute Figur und gleichmäßige Gesichtszüge, aber es hatten sich so tiefe Kerben und Falten in ihre Haut eingegraben, Folgen exzessiven Bräunens und zu vieler Zigaretten, dass sie älter aussah, als sie tatsächlich war, und außerdem verhärmt und seltsam verbittert wirkte.

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