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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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und würde sich etwas anderes suchen.«
    »Wir können ihn nicht zwingen. Wenn er geht, dann müsste ich ihn entweder auszahlen, was ich nicht kann, oder wir müssten ihm Miete zahlen, wenigstens anteilig. Meine Güte, Millie, du weißt doch, was ich verdiene! Es würde verdammt eng für uns.«
    »Als dein Bruder dürfte er gar kein Geld von dir nehmen.«
    »Aber er müsste ja dann irgendwo Miete zahlen. Er ist arbeitslos. Wie soll er das machen?«
    »Dann lass uns ausziehen!«
    »Willst du das wirklich? Ein Häuschen mit Garten kannst du dir dann aber abschminken. Nichts gegen eine Etagenwohnung, aber bist du sicher, dass du damit zurechtkommst?«
    Samson, der draußen vor der Tür gestanden, gelauscht und geschwitzt hatte, hatte ein wenig verächtlich sein Gesicht verzogen. Damit würde sie natürlich nicht zurechtkommen. Millie ging das Prestige über alles, womöglich sogar über die Befreiung aus der gemeinsamen Wohnsituation mit dem ungeliebten Schwager. Millie stammte aus einfachen Verhältnissen. Die Ehe mit einem Hauseigentümer in einem gutbürgerlichen Stadtteil war der große soziale Aufstieg in ihrem Leben – auch wenn es sich nur um ein schmales Reihenhaus an einer viel befahrenen Straße handelte. Sie liebte es, ihre Freundinnen einzuladen und mit dem tatsächlich von ihr sehr schön angelegten und gut gepflegten Garten zu protzen. Sie würde es nicht fertigbringen, diese Welt zu verlassen. Nein, Millie wollte nicht ausziehen. Sie wollte, dass Samson auszog.
    Auf den letzten Satz ihres Mannes hatte sie dann auch nichts erwidert, aber das Schweigen war äußerst beredt gewesen.
    Samson schüttelte den Gedanken an jenes bedrückende Gespräch ab und machte sich auf seinen Weg durch die Straßen. Er folgte dabei einem ganz bestimmten System und einem genauen Zeitplan, und heute lag er bereits fünf Minuten zurück – weil er so lange gezögert hatte, sich durch das Treppenhaus nach unten zu wagen, und weil er dann auch noch von Millie aufgehalten worden war.
    Er hatte seine Arbeit im Juni verloren. Er hatte als Fahrer eines Heimservices für Tiefkühlkost gearbeitet, aber Tiefkühlgerichte waren teuer, die Wirtschaftskrise verunsicherte die Menschen, die Aufträge waren dramatisch zurückgegangen. Schließlich hatte die Firma die Anzahl ihrer Fahrer reduzieren müssen. Samson hatte es kommen sehen, und er war der Mitarbeiter, der zuletzt eingestellt worden war. Es hatte ihn als Ersten getroffen.
    Er schritt zügig voran. Das Haus, das er und Gavin von den Eltern geerbt hatten, lag an jenem Ende der Straße, das auf eine viel befahrene Durchgangsstraße mündete, daher lauter war und weniger vornehm. Schmalbrüstige Häuser, handtuchschmale Gärten. Dieselbe Straße bot in der entgegengesetzten Richtung, die zum Thorpe Bay Golfclub hin führte, ein ganz anderes Bild: größere Häuser, verziert mit Türmchen und Erkern, großzügige Grundstücke mit hohen Bäumen, gepflegten Hecken, von schmiedeeisernen Zäunen oder hübschen, niedrigen Steinmauern umgeben. Imposante Autos, die in den Einfahrten parkten. Es herrschte dort eine angenehme, friedliche Ruhe.
    Southend-on-Sea lag vierzig Meilen östlich von London und zog sich weitläufig am nördlichen Ufer der Themse entlang, bis hin zum Übergang des großen Flusses in die Nordsee. Die Stadt bot alles, was das Herz begehrte: Einkaufsmöglichkeiten, Schulen und Kindergärten, Theater und Kinos, den obligatorischen Vergnügungspark an der Uferpromenade, lange Sandstrände, Segel- und Surfclubs, Pubs und vornehme Restaurants. Viele Familien, denen London zu teuer war und die es überdies für ihre Kinder als in jeder Hinsicht gesünder empfanden, nicht in der riesigen Metropole aufwachsen zu müssen, zogen hier hinaus. Southend umfasste mehrere Stadtteile, darunter auch Thorpe Bay, wo Samson wohnte. Thorpe Bay bestand zu einem großen Teil aus den weiten, sanft gewellten Wiesen des Golfclubs und aus großzügigen Tennisanlagen, die sich gleich hinter dem Strand, getrennt nur von einer Straße, befanden. Wer hier wohnte, schien mitten in einer Idylle gelandet zu sein: baumbestandene Straßen, liebevoll angelegte Gärten, gepflegte Häuser. Der Wind, der vom Fluss kam, trug den Geruch nach Salz und Meer in sich.
    Samson war hier aufgewachsen. Er konnte sich nicht vorstellen, jemals woanders zu leben.
    Kurz bevor er die Thorpe Hall Avenue erreichte, begegnete ihm die junge Frau mit dem großen Mischlingshund. Sie führte das Tier jeden Morgen spazieren. Um diese

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