Beraubt: Roman
dem Messer in der Hand. Du kannst mir nichts vormachen. Dein Vater hat dich auch gesehen. Jeder weiß, dass du schuldig bist. Sie haben immer über dich und deine Schwester gelacht. Weißt du, wie man euch hier in der Gegend genannt hat, hm? Weißt du das?«
»Und ich habe gesehen, was du ihr angetan hast. Du und dieser Gracie. Durch ein Loch in der Wand. Ich hab gehört, was du damals gesagt hast, als du … mit ihr fertig warst.« Quinn würgte, war kaum imstande, die Worte ein weiteres Mal zu wiederholen. »Du hast gesagt: Doch noch eine gute Jagdbeute . Ich habe alles gesehen. Was du meiner Schwester angetan hast. Wie du dich hinterher mit Jim Gracie gezankt hast. Du bist die Bestie, nicht ich.«
Dalton trat von einem Fuß auf den anderen. Sein Blick flatterte durch den Raum. »Du weißt ja nicht, was du redest, du solltest dich schämen.«
»Oh, das tu ich. Also, wo ist das Mädchen?«
»Außer uns beiden ist niemand hier.« Dalton betrachtete Quinns Revolver. »Bist du’s wirklich? Quinn? Du hast dich ziemlich verändert. Warum setzen wir uns nicht hin und trinken was, hm? Entspannen wir uns erst mal. Du siehst hundemüde aus, weißt du das?«
Quinn ließ zu, dass Dalton zum Schreibtisch ging und eine Flasche Schnaps aus der Schublade holte. Sein Onkel setzte sich auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch und goss zwei Gläser voll. Eins schob er zu ihm herüber. Quinn schüttelte den Kopf. »Wo ist Sadie Fox? Ich weiß, dass du nach ihr gesucht hast.«
Dalton trank einen Schluck. »Ja, das stimmt. Ich hab nach der kleinen Sadie Ausschau gehalten. Ihre Mutter ist erst vor ein paar Wochen bei der Epidemie gestorben. Das arme Mädchen hat keinen Menschen mehr. Ihr Bruder ist in den Krieg gezogen, ihr Vater schon vor Jahren verschwunden. Ich hab dafür gesorgt, dass man sich um sie kümmert, in einem Waisenhaus in Bathurst. Das gehört zu meinen Aufgaben in Flint, zu meinem Job. Sie kann doch nicht ganz allein oben in den Hügeln leben, oder? Setz dich, Quinn, Herrgott noch mal, du machst mich nervös.«
»Vielleicht glaubst du, du könntest ungeschoren davonkommen, aber das stimmt nicht, weißt du das? Ich hab dich damals gesehen. Jim Gracie ist tot. Ich habe ihn gestern besucht. Er hat sich an dem Eukalyptusbaum neben seinem Haus aufgehängt. Er kann dir jetzt nicht mehr helfen.«
Dalton rückte mit triumphierendem Blick auf seinem Stuhl vor. »Ha! Da haben wir’s. Gracie war gestern in Bathurst, du mieser kleiner Lügner. Er kommt erst heute zurück.«
»Nein, schon gestern Abend. Er hat mir alles erzählt. Auch von den anderen Mädchen. Der Tochter der Gunns.«
»Gracie ist tot?«
»Ja.«
»Und du hast ihn umgebracht?«
Quinn überlegte sich seine Antwort. »Ja.«
Diese Nachricht schien Dalton aus der Fassung zu bringen, doch schon bald gewann er die Selbstbeherrschung zurück. »Und was hast du mit dem Mädchen vor, hm?«
»Ich werde mich um sie kümmern.«
Dalton schnaubte und leerte sein Glas. Die Ellbogen auf dem Schreibtisch, beugte er sich vor. »Nein. Sag’s mir. Was hast du wirklich mit ihr vor?«
»Ich sollte dich einfach erschießen.«
»Damit kommst du nicht davon. Sie werden dich finden.«
»So wie dich?«
Dalton betrachtete ihn mit seinem Amphibienblick und klopfte mit den Fingerknöcheln leise auf den Schreibtisch. »Ich hab gespürt, dass du zurückkommen würdest«, sagte er. »Hatte eine böse Vorahnung. Mary hat in letzter Zeit viel von dir geredet. Von dir und Sarah. Nathaniel ist es auch aufgefallen. Natürlich hat die Ärmste Fieberfantasien, aber trotzdem … Ich hab nach dir Ausschau gehalten. Jahrelang hab ich befürchtet, du würdest zurückkommen, aber mit der Zeit wurde es immer unwahrscheinlicher. Ich muss zugeben, das ist eine ziemliche Überraschung.«
»Darauf wette ich.«
»Das heißt, falls du der bist, der du zu sein behauptest. Was zum Teufel wolltest du überhaupt mit deiner Rückkehr bezwecken? Deine arme Schwester ist mausetot. Und alle wissen, dass du’s warst.«
Quinn dachte an den Zettel in der Streichholzdose in seiner Tasche. An die zarten Worte. Vergiss mich nicht. Komm zurück und rette mich. Bitte . »Ich bin gekommen, um Sadie Fox zu beschützen«, sagte er. »Und um für meine Schwester Gerechtigkeit zu erlangen.«
Sein Onkel wedelte mit der Hand in Richtung des Gesangs, der aus der mehrere Straßen entfernten Kirche herüberdrang, und goss sich noch etwas zu trinken ein. »Die würden dich gern in die Finger kriegen. Dieses ganze
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