Beraubt: Roman
lange er mit geschlossenen Augen dagelegen hatte, wusste er nicht, doch nach einer Weile nahm er einen fernen Chor von Stimmen wahr. Die Leute von Flint kamen, um ihn zu holen. Er stellte sich vor, wie sie die Ufer des Stausees entlangstapften, wie sie hier und da im Schlamm ausrutschten. Sein Vater und sein Onkel vorweg; dann Jack Sully mit seinem wackligen Gang; Mrs. Porteous in ihrem Witwenkleid; die alte Mrs. Crink mit ihrem trüben Blick, die sich mit einem Stock vorwärtstastete; Bluey und McLaverty; die Harvey-Brüder; Evelyn Higgins. Er schlug die Augen auf, als könnte er dann besser hören, doch kurz darauf waren die Stimmen im Wind verklungen. Egal. Schon bald würden sich die Leute auf ihn stürzen und ihn mitnehmen. Sie würden ihn verprügeln, seine Taschen mit Steinen füllen und ihn dann in den Stausee werfen, wie es die Bergarbeiter früher mit Banditen getan hatten. Und das wär’s dann. Dieses Ergebnis sollte ihn nicht überraschen: Bei jedem Bestreben waren die Möglichkeiten zu scheitern nahezu grenzenlos, während es nur einen einzigen glücklichen Ausgang gab. Der Schorf und die Narben auf seiner Haut brannten vom Schweiß.
Auf dem Fußboden huschten Hunderte von Ameisen umher, die in ihren Zangen kleine Blattschnipsel trugen. Es waren unglaublich viele, und alle so unbedeutend. Als Kind hatten Insekten und Spinnen ihn fasziniert, und er hatte viele glückliche Stunden damit verbracht, Rotrückenspinnen, Tausendfüßler und Zikaden zu beobachten. Wie die Menschen bewohnten sie ihr eigenes Universum voll Schönheit und Schrecken, dessen Grenzen sie zu kennen glaubten. Er fragte sich, ob Gott so die Menschen sah, wenn sie ihr Tagwerk verrichteten. Vermutlich war es einfach, Krieg und Pestilenz wüten zu lassen, wenn das Leid des Einzelnen so fern war, leicht zuzulassen, dass sie sich gegenseitig schändeten und ermordeten. Die Angelegenheiten der Menschen waren unbedeutend.
Wieder nahm er eindringlich rufende Stimmen wahr, rührte sich aber nicht vom Fleck. Sie würden ihn früh genug finden. Eine der Ameisen war direkt vor seiner Nase und stellte sich wie ein Hund auf die Hinterbeine. Das Tier fuchtelte mit seinen winzigen Zangen. Dann sank es auf alle sechs Beine, trippelte vorwärts und richtete sich wieder auf. Quinn wurde bewusst, dass jemand sprach. Sie ist nicht hier, sagte die Stimme. Er rüttelte mit dem Finger in seinem verdammten Ohr, um richtig zu hören. Dann starrte er die Ameise an, die inzwischen nur noch zwei, drei Zentimeter von ihm entfernt war. Das Insekt sprach mit rauer Stimme und wiederholte immer wieder dieselben Worte. Er hat sie ins Gefängnis gebracht. Ins Gefängnis . Die Ameise schüttelte den Kopf wie ein Pferd die Mähne, ließ sich auf den Boden sinken und trippelte davon. Quinn hörte das Scharren ihrer Klauen auf dem Boden, und erst da begriff er, dass es keine menschlichen Stimmen waren, sondern die der Ameisen, die auf den morschen Dielenbrettern der Hütte herumwuselten.
Er nahm seinen Revolver und sprang auf, seine Ohren nicht nur vom Drängen der Ameisen, sondern des gesamten Buschlands erfüllt. Als würde eine große Maschine in Schwung kommen, pulsierte die Luft von Worten, von Strömen des Beharrens und Klagens. Quinn hatte den Eindruck, als könnte er, wenn er es nur versuchte, das schüchterne Geflüster der Grashalme hören. Er hat sie ins Gefängnis gebracht. Ins Gefängnis . Vielleicht war es doch noch nicht zu spät. Er stürmte aus der Hütte und machte sich wieder auf den Weg durch den Busch, diesmal zum Polizeirevier auf der anderen Seite von Flint.
Quinn lief an dem kleinen Damm und am Rand der Sparrowhawk Mine an den östlichen Ausläufern des Orts vorbei. Zehn Minuten später wankte er aus dem Busch wie ein verrückter Heiliger. Irgendwo hatte er seine Jacke verloren, und überall auf seinem schmutzigen weißen Hemd zeichneten sich die blutigen Spuren der in seinen Körper geritzten Kreuze und anderen Hieroglyphen ab. Er überquerte den Fluss und lief an den Flats entlang, wo er im Schatten einer einzelnen Birke rastete. Aus der anglikanischen Kirche drang das Anschwellen und Abebben eines Kirchenlieds. Es musste Sonntag sein. Fünfzig Meter entfernt sah er das Polizeirevier auf der anderen Seite der Gully Road.
Am Holzzaun war ein graues Pferd angebunden, und im tiefen Schatten der im Garten stehenden Ulme graste ein Schaf. An der Sandsteinwand des Gebäudes lehnte das Polizeifahrrad. Quinns Herz war von Angst gebläht, doch er durfte
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