Berge Meere und Giganten (German Edition)
Holz und Eisen ausgebreitet, sammelte sich die Substanz zu langsam, verpuffte. Pflanzen, saftreiche, fette Tiere und Menschen waren der beste Boden, auf dem sich der Stoff anreichern ließ. Die aber griff es schwer an. Es ätzte sie. Dann fühlten sie, die das Netz auf Armen Schultern und Knien trugen –, nachts legte man es auf Stiere und Pferde, deren Fell kahlgeschoren war – Verbrennungen. Die Verletzten ersetzte man durch neue. Die fünf letzten Tage des Maschenknüpfens, das in weiten Hallen in Mecklenburg geschah, waren das Opfern einer Hekatombe. Nur stundenweise konnten sich die Menschen dem weißen schrecklichen Gespinst nähern. Man sorgte dafür, daß aus entfernten Gegenden Arbeiter und Arbeiterinnen in Flugzeugen herankamen. Wer frisch ankam, unmittelbar in die Hallen gebracht wurde, erlag am raschesten. Ältere, die schon müde knoteten, hielten sich bis zu sechs Stunden. Dann lagen sie ohnmächtig da, mit kalten Händen, kleinen Pulsen, eingesunkenen Backen. Die Meister lösten sie mit mächtigen Glashaken von dem Gewebe, rollten sie heraus. Der letzte Tag war es, der in das Gewebe die braunen und schwarzen Flecken eintrug. Da war das Netz, das kilometerlange und breite, aus seinen fünf großen Einzelteilen zusammenzuknüpfen. Und als hätte sich die Kraft des Netzes, seiner Ausdehnung folgend, verhundertfacht, geschah eine Vernichtung der Lebewesen in seiner Nähe von einer Intensität und Raschheit, die den Zusammenschluß des Netzes überhaupt unmöglich gemacht hätte, wenn es sich nur um einen Tag mehr gehandelt hätte. Es betraten morgens um sechs Uhr die ersten achtzig Menschen die Hallen. Um zwölf Uhr mittags lagen auf den Wiesen hinter den Hallen schon dreihundert Leichen. Aber um fünf Uhr nachmittags, als das Netz fertig war und von siebzig Kränen frei in die Luft gezogen wurde, lagen nicht viel mehr als diese dreihundert Leichen und Sterbenden da. Denn von Mittag ab verließ keiner, der das Netz berührte, mehr lebend den Raum.
In einer Zeit, die sich von zwölf ab immer mehr verkürzte, zuletzt bis auf eine Viertelstunde, vergasten die Menschen, wie alles Feuchte an dem Stoff. Vergasten, nachdem sie einen kleinen Schrei von sich gegeben hatten. Ihre Finger griffen in das Gewebe, verkohlten da. Sechs Meister knüpften die letzten Maschen, hatten die trockenen heißen Pelzmäntel an, die dichten Pelzhandschuhe, die am sichersten schützten. Die starre Trockenheit ließ das Gewebe nicht knoten; sie mußten ihre nassen Fingerspitzen hergeben. Zu einem Griff. Und wollten sie den zweiten machen, so rieselte es schon durch sie. Beim dritten sanken sie in ihren Pelzpanzern um. Dunsteten verhauchten aus den Fellröhren. Leere Gehäuse am Boden, dampfende Halsöffnungen Rauchrieseln.
Man hatte armdicke Glasbalken wie Fahnenstangen schräg nach rückwärts in die Luft hinaus gebaut. Daran hing leicht, auf zehn Schritt nicht mehr sichtbar, das bleiweiße Netz. Es hing straff herunter. Bildete um die zweiundzwanzig Schiffe eine Wand. Da, wo das Netz das Meer berührte, war – kein Meer. Sondern auf Meterweite leerer Raum. Von einer Luft erfüllt, die zu beiden Seiten des Netzes durchsichtiger war als die übrige und im Sonnenlicht stärker leuchtete. Weder Insekten noch Vögel konnten sich diesem leeren Raum nähern. Das Wasser, der unermeßliche Ozean, stand wie Stein, gierig die Lücke zu füllen, auf die Schiffsreihe zu stürzen, die sich langsam senkte.
Die Schiffsreihe senkte sich. Immer mehr Wasser baggerten die Verdampfer aus dem Innensee, schleuderten es hoch. Die Spitze der ozeanischen Bank, von mächtigen Salz und Tanglagern bedeckt, stieg höher, je mehr das Kesselwasser sich verdichtete.
In geschlossener Runde wie Kinder, die sich an den Händen fassen, schaukelten die Kolosse. Am Vordersteven die saugenden beißenden speienden Kraniche. Im Rücken das hauchartige Netz, wie ein feines Lächeln vor dem eisernen gebannten Meer, dem schwarzen wallenden stöhnenden, in allen Fugen krachenden Wogenberg. Der Ozean hing bald wie ein Gebirge über ihnen, über den freudigen Menschen. Die Wassermassen stürzten schräg abwärts. Schäumend weiß standen sie vor dem Netz hoch, wie Pferde vor dem Stallmeister; vor dem Netz, das unberührt unbeweglich höher und höher geschoben wurde, schon häuserhoch über dem Deck der zweiundzwanzig Schiffe. Und so hoch umgab sie der schwarzanspülende sich beulende stöhnende Berg des Wassers. Nach fünf Tagen hatten sie Platz in dem luftstillen Kessel.
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