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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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geschehe.
    In den Reichen der Diuwa und Venaska dehnten sich Schlangen und fremde Siedler aus. An der Garonne und der breiten Rhone gediehen sie. Neben den flachen Fabrikhallen, Ruinen, standen die römischen Triumphbogen mit Inschriften über aufrührerische Gallier. Zwei dreitausendjährige römische Amphitheater bauten ihre Ränge und Treppen an Hügeln auf. Beim grauen Avignon stürzte der Domfelsen gegen die blaue Rhone ab; die düsteren neununddreißig Türme der Papstburg oben waren zerbröckelt, von Pinien Eichen Blütenbüschen überwachsen. Siedler, kranke genesende, aus den brüllenden krampfenden europäischen Stadtschaften legten ihre Leiber an das unerschöpfte Land zum Sterben oder Auflodern. Venaska zog im karmoisinfarbenen goldbestickten Hemd über das üppige Tal der Garonne bis in die Gegenden, die die starke Melise beherrscht hatte. Sie weckte die Landschaft auf. Ein Schmelzen um Venaska. War sie vorbei, so knirschten die Menschen vor Verlangen. Etwas Blindes Schreiendes wurde in manchen Widerstrebenden erregt; das riß sie fort. Raubsüchtig gingen Männer und Frauen umher. Von der Geheimlehre der Schlangen, von der Wanderung und ihrer Heiligkeit, wollten sie nichts wissen. Das Niederstürzen von Mann und Weib war ihnen eine Lust. In der Gegend des alten Bistums Perigueux sperrte ein Mann, der sich Siwri nannte, sechs Frauen wider ihren Willen in sein Gehöft mit Hilfe seiner Mutter ein. Er war eben genesen, stark, nicht jung; man sagte, seine Mutter hätte ihn angespornt. Die Frauen ließ er für sich arbeiten. Andere Frauen quälte er zu seiner Freude. Er zeigte auf Schritt und Tritt, daß er Frauen für nichts achtete. Die Schlangen waren machtlos gegen ihn, da er sich ihnen entzog.
    Gestalten, nicht Mann und nicht Weib, zeigten sich in der Garonnelandschaft aus mehreren der hier vagierenden Rassen. Das war die höchste Bezauberung, die viele erfuhren. Weiße, auch gelbbraune Menschen mit weicher Rundung der Schultern. Graziös bewegten sie sich auf den Wegen unter dem Blütenregen der Akazien, schlenderten über die Wiesen, stiegen in die Forste. Die Städte hatten vielen Mißwuchs begünstigt; man hatte unter den Krankheiten und dem schweren Zugrundegehen wenig auf Einzelnes geachtet. Jetzt warf die Landschaft üppig diese Wesen hin, die als Mädchen gingen, wie sie aufgewachsen waren, die fülligen Becken leicht wiegend, manche scheu und ihr Geheimnis nicht offenbarend, manche in verwegener Mischung der Tracht: die Kappe und Feder eines Mannes auf dem Haar, dabei Brüste, die in Wölbung und Umriß unter der straffen Bluse hervortraten. Sie schwärmten auf Mädchen aus, die sie erst nicht erkannten, sich launig von ihnen halsen ließen. Und im zarten Andrängen ließen sie die Sonderbarkeit ihres Geschlechts fühlen, fühlten bebend und heiß die Erschütterung und Bannung des Mädchens, der Frau mit, die nicht wußte, was sie genoß, die eine Freundin und einen Geliebten umschlang. So starke Würze hatten sie noch in keiner Umarmung empfunden. Und junge Männer wurden heftig zu Mischwesen getrieben, die sie für schnippische Frauen hielten. Ein fremdartiger Reiz lockte. Sie fielen vor diesen Mädchen hin, waren erschreckt, im Geheimsten aufgerührt, fassungslos, wie das Rätsel, der weibliche Jüngling, sich in ihren Armen bewegte, drängend und saugend. Viele erschienen auf dem grünen Boden und erregten die Mädchen und Jünglinge. Welche Schrecken Verwirrungen Tränen erregte das rothaarige Wesen Tika On, das purpurn und rosa gekleidet von der Auvergne herunter kam, nichts arbeitete, sang und das die Venaska selbst erschütterte. Ein wildes Geschöpf war Tika On, mit heller Knabenstimme sang sie, lachte. Über ihr Geschlecht war sie selbst nicht klar. Sie küßte hitzig Männer und Frauen. Es genügte ihr, die Menschen zu umschlingen, um sie in Ekstase zu bringen. Meist riß sie sich gehässig von dem los, der von ihr mehr verlangte. Und wer gewaltsam nach ihrem Leib griff, ließ sie selbst los, so schrecklich schrie weinte sie, lief in stundenlanger Verstörung weiter. Als wenn das Geschlecht an ihr eine furchtbare Wunde wäre. An Venaska hängte sie sich, die immer milde und süß war. Schließlich mußte die Frau in Toulouse sie von sich abreißen. Zum erstenmal sah man an der braunen zarten spöttischen Frau ein Grauen. Ihre Beängstigung war so tief, daß sie andere zu Hilfe rufen mußte, die bei ihr wachten, das rote Wesen, die Tika On, von ihr fernhielten. Die keifte bei der Holz

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