Berge Meere und Giganten (German Edition)
hütte an der Serninkathedrale, wo Venaska in diesen Wochen wohnte. Die Venaska weinte: »Sie fühlt, wer sie ist. Sie ist eben im Begriff es zu fühlen. Ihr müßt mir nicht böse sein, ich kann ihr nicht helfen. Sie ist in der Geburt; ich kann ihr nicht helfen.« Tika On umschwärmte noch monatelang die Venaska, verscholl im Norden.
Der König Karl von Valois, vor einem Jahrtausend in einer nördlichen Landschaft begraben, riß sich lechzend aus den Wäldern los, tauchte in das Gestrudel. Jauchzte tobte wie einstmals. Die Forsten, in denen er einmal gejagt hatte, waren wild zugewachsen. In die Schneeberge der Auvergne, am Plomb du Cantal, brach er zur Wildschweinhetze ein, strudelrasselte am Talboden der Allier, suchte Händel. Seine Adlernase glühte von Wein. Eseln schlug er die Köpfe ab.
Heiße Wesen wurden auf die Landschaft geworfen, von dem Menschengewimmel hochgerissen. Die Bodengeister, seit Jahrhunderten in die Hölzer und Steine getrieben, wogten wie ein Bienenschwarm über einem Kleefeld auf, drangen, schlangen sich, quollen in das warme treibende Menschenblut, flossen in helle und schwarze glänzende glatte Haare ein, ließen es sich in springenden Männerknien, vollen Weibesbusen wohl sein. Nicht ein einzelner Mensch genügte dem wüsten la Mole, der unter Steinen bleich und dünn geworden war, nachdem ihm, wie er noch die ersten Knochen hatte, jede Messe eine neue Geliebte geschenkt hatte –, bis ihm sein König den Kopf ab schlug. Die Jahrhunderte hatte er gelauert, schon war er fast abgestorben. Da schwoll dieser Wolkenbruch über den verdorrten Boden. Frenetisch schoß er auf die Leiber, die er besetzte. In sechs Menschen lief la Mole, dem ein rasch erloschener Mann einmal den Kopf abgeschlagen hatte. Sechs Leiber regierte er. Ein Cyklop war er, die Leiber wechselte er. Er hauchte in ihnen, trieb sie wie einen Wagen, ließ sie wie schlechte Maschinenteile fallen. Blaise de Montluk, blitzjung, der Gaskogner, stieg ohne Hut aus dem Wasser der Garonne, in der er vor einem Jahrhundert ertrunken war. Das Wasser hatte ihn nicht verspülen können. Er zuckte über die kieferbestandenen Ufer, stolzierte als kecke Dirne mit knappem Busen über die gelben Äcker und zwischen den Weinbergen, suchte in die flüchtige Tika On zu fahren. Dann stürzte er eines Mittags im prallen Sonnenschein einem schwarzen Hengst in den Hals und jagte mit ihm. Es dünstete und schauerte über das vertrocknete Land. Venaska zog von Flur zu Flur, die Diuwa sänftigte an der Garonne.
IN DEN Cevennen, an dem kräuterreichen grünen Rasenkegel des Puy-de-Dôme erschienen die ersten Islandfahrer, in das aquitanische Tiefland sickerten sie. Kleine Gruppen lederbekleideter ernster noch matt blickender sehnsüchtiger Menschen. Langsamer wanderten sie und trieben ihre Pferde, wie sie unter dem blauen und blaueren Himmel den Fruchtboden der alten verwitterten Lavaschichten betraten, meilenweite Gärten sich auftaten, Rosenbüsche Gelb und Purpur warfen. Blühende Touraine. Waldbedeckte Flußufer. Frischgerodete Erdfläche. Die Islandfahrer, die Männer und Frauen, die auf den Ölwolken gestanden hatten, schnupperten, blickten um sich, schüttelten sich unter dieser Luft. Welches fremde Wühlen. Mißtrauisch trieben sie durch die schimmernde Landschaft. Kylin, die grüne Loire hinter sich lassend, stand auf dem Felsen Amboise, durchirrte die Höhlen Klüfte Gänge des Gesteins. Gefangene nach Gefangenen waren hier versickert; sie tosten um ihn, trieben ihn hinaus. Aufsässigen hatte man auf den strahlenden Plätzen die Köpfe abgerissen, blauäugige Blondinen hatten dazu gelacht. Idatto seufzte neben Kylin: »Dort hinten ist Süden. Ich möchte hier fort. Und dort wage ich mich nicht hinein.« »Idatto, fürchte dich nicht vor dem Nebel. Da war Brand und Nebel im Norden, durch den wir mußten. Da ist einer im Süden.« »Ich sehe es. Aber es reißt an mir. Ich will keine Versuchung.« »Wir müssen hinein, enthalte dich nicht. Wir sind durch Island gekommen. Fürchte dich nicht. Da war ein Nebel, und hier ist ein Nebel.«
Langsam zogen sie durch die Landschaft. Sie waren zu Marduk nicht durchgedrungen. An der Loire erzählte man sich von White Baker. Sie hatte noch die Kraft gehabt, die britischen Siedler nach dem Festland hinüberzuführen, sank dann in sich zurück. Wie ein Baum, der lange üppig geblüht hat und dann alternd Borke um Borke ansetzt, sich selbst vermauert, ein Visier über sein Gesicht schiebt, seine Wurzel
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