Berger, Fabian
Dunkelheit. Mit ohrenbetäubender Lautstärke dröhnte die Carmina Burana aus den Boxen eines CD-Spielers und übertönte das Geräusch fließenden Wassers, das sich durch die schlichte Armatur über einem Edelstahlwaschbecken seinen Weg suchte. Mit jedem Schwall benetzte eine dünne hellrote Flüssigkeit die Oberfläche des glänzenden Metalls, bis diese, immer heller werdend, im Abfluss verschwand. Wie ein Künstler bei der Reinigung seiner Pinsel strich er über die filigrane Klinge des Skalpells und entfernte das getrocknete Blut von der rasiermesserscharfen Schneide. Nachdem er das Messer mit einem Tuch abgetrocknet hatte, legte er es zu der silbrig flimmernden Knochensäge, die bereits ihren vorgesehenen Platz in der Instrumententasche eingenommen hatte und für ihren nächsten Einsatz vorbereitet war. Das Handy tanzte vibrierend auf der Ablage der Spüle und meldete einen Anruf. Er streifte seine Latexhandschuhe ab und stoppte die Musik.
»Ja?«, meldete er sich mit ruhiger Stimme.
Der Fremde am anderen Ende der Leitung nannte ihm die Daten seines nächsten Einsatzes.
»Wo genau? Ich verstehe.«
Er beendete das Telefonat und steckte das Handy ein. Mit routinierter Gelassenheit streifte er sich den Mantel über und warf einen letzten prüfenden Blick auf das Operationsbesteck. Dann schloss er die Tasche und nahm sie in die Hand. Mit nur wenigen Schritten erreichte er die Tür, löschte das kärgliche Licht und verließ den Raum.
-6-
L orenz war tief in Gedanken versunken. Seitdem Hannah angerufen und darum gebeten hatte, sich mit ihm zu treffen, suchte er nach unverfänglichen Worten, die er zur Begrüßung an sie richten konnte. Ach, zum Teufel, dachte er bei sich. Sie ist immerhin deine Tochter. Dir wird schon das Richtige einfallen.
Schließlich entspannte er sich wieder. Im Inneren seines Wagens roch es immer noch nach Frenzen. Zeitweise glaubte Lorenz sogar, dass sein Kollege neben ihm säße und jeden Moment zu reden begänne. Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und atmete tief durch. Obwohl er Frenzen zu Anfang nicht sonderlich gemocht, und dieser sich letzthin nicht als die Person herausgestellt hatte, die er in ihm vermutet hatte, vermisste er dennoch seine Gesellschaft. Vielleicht war Saarfelds Idee doch nicht so verkehrt. Womöglich würde es ihm helfen, über das Erlebte hinwegzukommen. Aber was war mit Hannah? Im Gegensatz zu ihm hatte sie nicht die Möglichkeit, sich einen neuen Partner zur Seite zu stellen, der sie dabei unterstützte, die schwierige Zeit durchzustehen.
Lorenz hielt in der Nähe des Treffpunktes und stieg aus dem Wagen. Aus der Ferne sah er Hannah auf der Bank sitzen. Zögerlich näherte er sich ihr. Das Knirschen des feinen Kieses unter seinen Schuhen verriet ihn, noch bevor er sie erreicht hatte. Sie drehte den Kopf in seine Richtung. Ein dünner Film von Tränen benetzte ihre Wangen. Sie sah müde aus, verzweifelt, allein. Sie erhob sich und kam ihm die wenigen Meter entgegen. Als sie vor ihm stand, nahm er sie wortlos in die Arme. In ihren Augen spiegelte sich die unendliche Trauer wider, die sie empfinden musste. Er drückte sie so fest er konnte.
»Ach, Papa!«, schluchzte sie und zog die Nase hoch. Dabei vergrub sie ihr Gesicht in seinem Mantel.
Lorenz streichelte ihr über die Haare. »Mein Schatz, ich weiß, wie du dich fühlst. Ich bin immer für dich da.«
Minutenlang blieben sie fast regungslos stehen, bis sie sich wieder fing und sich die Tränen aus dem Gesicht wischte.
»Tut mir leid. Ich wollte dir eigentlich nichts vorheulen.« Sie deutete mit einem Kopfnicken auf die Bank. »Setzen wir uns?«
Schweigend folgte er ihr und hielt dabei ihre zitternde Hand.
Sie klopfte auf ein Tuch, mit dem sie die schmutzige Sitzfläche abgedeckt hatte. Nachdem sie darauf Platz genommen hatten, starrte Hannah über die Wiese, die sich vor ihnen auftat. »Als ich Erik das erste Mal sah, wusste ich, er ist es. Verstehst du, was ich damit sagen will? Ich war mir noch nie im Leben so sicher. Es hatte mich einfach erwischt. So, wie bei dir und Mama.« Die Tränen liefen ihr erneut übers Gesicht.
Lorenz wollte sie in den Arm nehmen, aber sie wehrte ihn ab und blickte zu Boden.
»Was soll ich jetzt tun?« Sie wandte sich ihrem Vater zu und schaute ihn an. »Ich vermisse ihn so sehr, dass es wehtut. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich ohne ihn gar nicht weitermachen will und vielleicht kann ich es auch gar nicht.«
Lorenz drückte Hannahs Kopf an seine Brust. Er
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