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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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wenn du deinen Kleiderschrank öffnest.«
    »Ich hab noch nie Mottenpulver benutzt. Weiß gar nicht, wie das riecht.«
    »So wie der halt. Vielleicht war es auch etwas anderes, keine Ahnung. Eigentlich kam er mir vor wie ein ...« Ich überlegte. »Ja, wie ein Ausländer.«
    »Wie ein Ausländer?«
    »Mhm ...«
    »Verstehe ich nicht.« Fatty runzelte die Stirn. »Wie riechen denn Ausländer?«
    »Wieso riechen? Ich habe nicht gesagt, dass er wie ein Ausländer roch.«
    »Natürlich hast du das.«
    »Quatsch, ich habe gesagt, dass er mir wie ein Ausländer vorkam.«
    »Du hast gesagt«, unterbrach mich Fatty, »dass er nach Mottenpulver roch, vielleicht aber auch nach etwas anderem, und du ihn deshalb für einen Ausländer hältst. Und nun frage ich mich, wie er deiner Meinung nach wohl riecht, der genormte Standardausländer? Nach Knoblauch? Nach Mülltonne?«
    »Verdammt, Fatty, dreh mir das Wort nicht im Mund rum!«
    »Ich drehe nicht. Du drehst!«
    »Ich wollte bloß diesen Geruch beschreiben. Einen fremdartigen, ungewöhnlichen Geruch, klar?«
    »Ungewöhnlich ist noch lange nicht ausländisch.«
    Abwehrend hob ich die Hände. »Ich nehms zurück, okay?«
    »Aber Ausländer ...«, begann er.
    »Vergiss es!«, schnitt ich ihm das Wort ab.
    Er zuckte die Achseln.
    Pause. Ich goss Wein nach.
    Du meine Güte, ich bin doch nicht fremdenfeindlich! Nur weil ich hin und wieder eine unbedachte Bemerkung fallenlasse? Mein ganzes Dasein besteht aus unbedachten Bemerkungen, und die treffen Ausländer ebenso wie Einheimische. Dass mir bestimmte Menschen fremder sind als andere, Asiaten fremder als Europäer, Osteuropäer fremder als Westeuropäer – das sagt gar nichts. Ich bin nun mal im Südwesten der Bundesrepublik aufgewachsen, und ich lebe dort; das prägt. Ob mir allerdings Bayern, Lausitzer oder Nordfriesen näher stehen als Elsässer, Schweizer oder Luxemburger, wage ich zu bezweifeln, und beim Kochen verhalte ich mich eindeutig undeutsch. Mein Gaumen ist ein heimatloser Geselle. Daran denkt jemand wie Fatty natürlich nicht.
    Trotzdem, das mit der weltoffenen Küche mag stimmen, aber es stellt bloß die eine Seite der Medaille dar. Auf der anderen Seite sind weniger schmeichelhafte Dinge verzeichnet. Zu diesen Dingen gehört meine reflexartige Abwehrhaltung, wenn sich Zugnachbarn einer Sprache bedienen, die ich für Serbisch halte. Dazu gehören meine Aversionen gegen türkische Halbstarke mit Gel im Haar und Goldkettchen an den Handgelenken, die gelangweilt auf dem Bahnhofsvorplatz herumlungern, gegen ihre verschleierten Mütter und ihre rauchenden, Filme glotzenden Väter. Nein, ich bin nicht so offen und tolerant, wie ich es gerne wäre und wie es die öffentliche Meinung verlangt. In der Schülerzeitung schrieb ich einmal, wir bräuchten mehr Exoten in diesem verstaubten Land, ohne Afrikaner oder Asiaten würden wir in unserem eigenen Mief ersticken. Die Provokation gelang prächtig, unser Religionslehrer bekam einen Wutanfall, und in einigen Fächern wurden meine Noten plötzlich schlechter. Aber dann kam der Tag, an dem mein Cousin eine Senegalesin heiratete und ich einsah, dass ich mir in die Tasche gelogen hatte. Mit einer Schwarzen leben? Das wäre mir im Traum nicht eingefallen. Warum nicht? Ich wagte nicht, genauer darüber nachzudenken. Und wenn man schließlich noch anführt, dass meine Eltern mich mit 14 zum Schüleraustausch in die Bretagne schickten und ich erst nach drei Wochen, nach drei schrecklichen Wochen, in denen ich heulte und mich übergab und heulte und abnahm, zurück nach Hause durfte, dann existiert möglicherweise doch der eine oder andere Hinweis auf eine tief in Max Koller verankerte Fremdenangst.
    Mag sein.
    Nur brauchte ich mir das nicht von einem Friedhelm Sawatzki vorhalten zu lassen. Nicht von einem politisch überkorrekten Kindergärtner mit schlesischen Vorfahren, der stets weiß, welche sozialkritische Stunde geschlagen hat, der mit 15 das Kapital ... Aber das erwähnte ich ja schon.
    Zurück zu unserem Abendessen auf einem der brüchigsten Hinterhofbalkone Heidelbergs.
    »Okay«, sagte Fatty versöhnlich. »Lassen wir den Toten in Ruhe, Mottenpulver hin oder her. Schenkst du mir noch mal ein?«
    Ich grinste.
    »Was ist mit deinem Auftraggeber? Wer könnte das gewesen sein?«
    »Keinen blassen Schimmer.«
    »Lass uns logisch vorgehen. Ein Heidelberger? Auswärtiger? Wie sprach er? Kannte er sich aus?«
    Ich überlegte. »Er sprach lupenreines Hochdeutsch, dialektfrei. Trotzdem

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