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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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fündig: ein Knopf, klein und braun, mit vier Löchern. Ein Allerweltsknopf, überhaupt nichts wert. Der konnte von jedem Friedhofsbesucher jeglichen Geschlechts stammen. Aber besser als nichts. Ich steckte ihn ein.
    Und so ging es weiter: Je weiter ich meine Nachforschungen ausdehnte, desto mehr fand ich. Nichts davon wies in eine eindeutige Richtung. Zu dem Knopf gesellte sich der morsche Holzgriff eines kleinen Küchenmessers; dann kamen Papiertaschentücher hinzu, ein Einmachgummi, ein Bonbon, eine Zigarettenschachtel, ein Fetzen Papier mit unleserlicher Aufschrift, eine kaputte Trillerpfeife, ein weiterer Knopf und ein Gießkannenaufsatz. Und ein nagelneuer Euro, immerhin.
    Das also war das Ergebnis meiner Nachforschungen: ein Geldstück und wertloses Strandgut der Zivilisation. Machte hier niemand sauber? Das Papier versuchte ich zu entziffern, aber die Schrift war vom Tau so verwaschen, dass man nur mit Fantasie den Namen Kurt oder Karl und eine sechsstellige Zahl, vielleicht eine Telefonnummer, hineinlesen konnte. Murrend und meinen Beruf verfluchend, suchte ich auf allen vieren weiter, bis ich zwei Schuhe fand.
    Zwei braune Schuhe. Schuhe, in denen noch die Füße der Besitzerin steckten.
    »Nun sagen Sie mal«, schallte es aus der Höhe herab. »Was machen Sie denn da unten?«
    Ich richtete mich auf. Vor mir stand die Frau, der ich am Friedhofseingang begegnet war. Eine mindestens 80-jährige Großmutter, Urgroßmutter, mit schluchtentiefen Falten im Gesicht, die Gießkanne in der einen, die Harke in der anderen Hand. Sie war keine eins 60 hoch, aber ihre hellen Augen blitzten wach und misstrauisch.
    »Na, was ist, junger Mann? Suchen Sie was?«
    Die hatte mir gerade noch gefehlt. Ich stand auf und klopfte mir den Sand von den Knien.
    »Sozusagen, ja«, brummte ich.
    »Wissen Sie, wie das aussah? Als würden Sie den Boden abschnuppern.«
    »Wenn Sie das sagen ...«
    »Und wozu, wenn ich fragen darf?«
    Natürlich durfte sie. Ihre Stimme erinnerte mich an meine Großmutter. Ein Pfälzer Knochen mit eisernen Prinzipien und viel Humor, auch wenn das widersprüchlich klingt. Von ihr bekam ich mehr Ohrfeigen als von der gesamten Restverwandtschaft, dennoch habe ich sie in bester Erinnerung. Sie brachte mir bei, dass Erwachsene auch nur Menschen sind, fragwürdig wie alles andere, und dass ich meinen eigenen Vorstellungen folgen sollte, nicht den verquasten Plänen meiner Eltern. Wenn die gute Frau wüsste, was aus mir geworden ist ... Im Übrigen war meine Großmutter die Einzige ihrer Generation, mit der man über das reden konnte, was vor 1945 geschehen war. Die Einzige, die das Wort Schuld in den Mund nahm.
    Die alte Frau auf dem Bergfriedhof war ganz anders als meine Großmutter. Aber ich glaubte zu bemerken, dass ihre scheppernden Worte von einem fröhlichen Zwinkern im Augenwinkel begleitet wurden. Einem versteckten Zwinkern freilich.
    »Das ist ein Test«, sagte ich. »Man schnuppert hier herum, weil ... wir nennen es Schnuppertest.«
    Sie kniff die Augen zusammen und schwieg.
    »Das ist natürlich nicht der offizielle Name. Schnuppertest. Da geht es um so eine Art Voruntersuchung. Wir vom Landesamt für Naturschutz ...«
    »Naturschutz?«, blaffte sie mich an. »Auf dem Friedhof?«
    »Gerade da. All die Leichen, ich meine die Bestatteten, mit ihren Prothesen und Goldzähnen und den vielen Tabletten. Haben Sie sich mal überlegt, wo das Zeug hinsickert, wo das verbleibt? Ich weiß, das klingt jetzt nicht schön, aber technisch gesprochen ist es Giftmüll, was da aus den Särgen rausgeschwemmt wird. Schwermetalle, chemische Cocktails. Sicher, hier liegen Ihre Angehörigen, für Sie ist das etwas Besonderes. Eine Kultstätte. Aber aus Behördensicht ist der Bergfriedhof eine Halde voller Gefahrgut. Eine Zeitbombe. Und wenn die hochgeht, mein lieber Scholli.«
    »Schnuppertest, nie gehört«, sagte sie. »Und was haben Sie mit Ihren Augen angestellt?«
    »Das sind die Probleme, mit denen wir tagtäglich zu kämpfen haben. Der Widerstand der Bevölkerung. Handgreiflicher Widerstand. Dabei geht es nur um einen Schnuppertest.«
    Sie schwieg. Das ermunternde Zwinkern in ihren Augenwinkeln war verschwunden. In der Hand hielt sie die Harke wie eine Waffe.
    »Okay, ich habe etwas gesucht«, sagte ich. »Habs gestern Abend hier verloren, und jetzt ist es weg.«
    »Soso«, machte sie.
    Ich zuckte die Achseln und grinste schwach. Und als sie immer noch schwieg, sagte ich: »Tut mir leid. Ich quatsche halt

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