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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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ich mich geirrt. Einige 100 Meter entfernt, in Höhe der Einmündung der Klingenteichstraße, heulte ein Martinshorn auf. Die beiden Polizisten verschafften sich an der Kreuzung, Gott weiß wie, freie Bahn, bogen verkehrswidrig rechts ab und preschten über die Friedrich-Ebert-Anlage auf mich zu. Verflucht, waren die empfindlich! Ich nahm wieder Fahrt auf, wollte zunächst der Grabengasse folgen, mitten hinein ins Herz der Altstadt, doch dann kam mir eine bessere Idee. Links von der Universitätsbibliothek, die ich inzwischen erreicht hatte, zweigt die Plöck ab, ein schmales Altstadtsträßchen, nur in eine Richtung befahrbar. Genauer gesagt gilt der Einbahnstraßenpfeil für Kraftfahrzeuge, nicht für Fahrradfahrer; wenn ich nun in westlicher Richtung in die Plöck einbog, verhielt ich mich völlig korrekt. Einmal abgesehen von der Tatsache, dass kein Verkehrsplaner an einen Doppelsitzer gedacht hatte, wie ich einen fuhr.
    Im Prinzip war ich gerettet.
    Leider nur im Prinzip, denn ich hatte nicht mit der Entschlossenheit meiner Verfolger gerechnet. Vielleicht gehörten sie einer neuen Generation an, der athletische Schnauzbart und seine blonde Kollegin, vielleicht wollten sie sich gegenseitig etwas beweisen, vielleicht auch verwechselten sie die Situation mit einem Videospiel, und ich, Max Koller, war ein Alien auf vier Rädern, den sie so schnell wie möglich wegpusten mussten, um den nächsten Level zu erreichen. Was interessierte da ein ›Durchfahrt-verboten‹ Schild?
    Ich war bereits einige Häuser weit gekommen, als ich das Martinshorn hinter mir durch die Plöck schallen hörte. Sie ließen also nicht locker. Sie wollten mich haben, unbedingt.
    Ich fuhr weiter. Trat in die Pedale, so schnell ich konnte, die linke Hand bremsbereit, denn die Plöck war schmal und belebt. Vor mir stoben drei junge Mädchen auseinander, als ich sie anbrüllte, eine Gruppe behelmter Mountainbiker, die mir entgegenkam, machte bereitwillig Platz. Fußgänger drückten sich unter wütenden Zurufen an die Hauswände. Wenn mir nur kein Lieferwagen mit quadratischer Vorderfront begegnete! Ein kleines Auto dagegen wäre mir gerade recht gekommen: eines, an dem ich knapp vorbei passte, nicht aber meine Verfolger.
    Doch da war kein Auto, bloß die Mountainbiker, die Fußgänger, fassungslose Passanten. Sie hörten das Martinshorn, und sie sahen einen Mann auf zwei Fahrrädern, der von einem Streifenwagen verfolgt wurde. Was sie wohl dachten? Ich hatte keine Gelegenheit, dem nachzugehen, denn im nächsten Moment war meine Jagd zu Ende. Es war kein Auto, das mich stoppte, kein Lieferwagen, auch kein überraschter Tourist.
    Sondern eine Schule.
    Eine Schule und davor 30, 40 Schüler mit Pausengetränk und Kippe. Sie standen einfach da und glotzten in meine Richtung. Wer hatte denn Schulstunden an einem Samstagmorgen? Fatty meinte hinterher, es müsste sich um Nachhilfeunterricht oder ein Blockseminar gehandelt haben, vielleicht auch um ein Theaterprojekt oder Orchesterproben. Egal. Jedenfalls standen sie da, Samstag hin oder her, sie sahen die Gefahr, die sich ihnen näherte, aber sie reagierten nicht. Zumindest nicht schnell genug. Die Ersten ließen ihre Kippe fallen, die Nächsten begannen zu schreien, andere rannten los, wieder andere stolperten ihnen entgegen, sie fielen schon übereinander, bevor ich in sie hineinraste.
    Die Katastrophe war unvermeidlich. Ich konnte nicht ausweichen, überall standen sie, diese 14-, 16-, 17-Jährigen, und bis sich so eine träge Meute mal in Bewegung setzt… Kurz vor dem Aufprall, immer noch hoffend, da würde sich eine winzige Lücke auftun, bremste ich. Zu spät.
    Ich weiß nicht genau, was geschah. Alles wirbelte durcheinander: die Schreie der Jugendlichen, Sirenengeheul und Bremsenquietschen, ich sah bunte Flecken vor mir, rote, schwarze, blaue, Farbtupfer, die wohl von Schulranzen und Jeansjacken herrührten, ließ mein Rennrad los und tauchte ein in diese gigantische Malerpalette. So ähnlich dürften sich Hippies in ihren Kifferträumen gefühlt haben, beim Sprung in prallbunte, dreidimensionale Halluzinationen, beim Planschen im Innern einer Hammondorgel. Sogar eine olfaktorische Seite hatte dieses Erlebnis: Ein intensives, billiges Parfüm wehte mir um die Nase, schrecklich, mit was sich diese Halbwüchsigen begießen! Dann prallte ich gegen weiche Gegenstände, wurde gebremst von Bäuchen und Brüsten, Schenkeln und Hintern und landete schließlich in einer Hecke, die einen kleinen

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