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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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ein knutschendes Pärchen, drei Penner, von denen einer sanft entschlummert war, und ein träger Dicker, der gelangweilt an seiner Limo nippte.
    Als ich berichtete, wie meine Verfolger mit Blaulicht, aber gegen die Fahrtrichtung in die Plöck eingefallen waren, gab es kein Halten mehr.
    »Sind die jetzt gedopt?«, rief Tischfußball-Kurt begeistert; an der Theke lachten die beiden Motorradfahrer, dass ihre Wampen wackelten. Ein Langer mit Nickelbrille auf der spitzen Nase, den ich für höchstens 35 hielt, stammelte ergriffen: »Wie damals! Wie damals!« und erklärte zu meiner Überraschung, er habe schon 1968 vom Dach der Alten Aula herab zum bewaffneten Kampf und zur Bildung von Bürgerwehren aufgerufen, was ihm drei Wochen Knast eingebracht habe; da wollten die anderen nicht zurückstehen und prahlten mit den 70er-Jahren in Heidelberg, als letztmals Seminare geräumt, Studenten verhaftet und Brandreden gehalten wurden. Der heiße Herbst, jawohl! Berufsverbote, Staatsterrorismus, denen haben wir es aber gezeigt! Das waren noch Zeiten, schrieen die Altrevoluzzer und klopften mir anerkennend auf die Schulter.
    Selbst der schöne Herbert lächelte trübsinnig vor sich hin.
    »Schon gut«, wehrte ich ab. »Im Grunde wollte ich doch nur, dass die zwei mich nicht kriegen ...«
    Maria brachte Nachschub an Bier. »Auf die Räterepublik!«, schrie einer. Laune und Umsatz stiegen.
    »Und wie ging es weiter?«, fragte Tischfußball-Kurt, der Mann, der sich ausschließlich von Orangensaft ernährt.
    Ich erzählte von meiner Flucht durch die Plöck und von den Schulkindern, die mir als Puffer dienten.
    »Das ist verdammt typisch«, kommentierte die Nickelbrille. »Typisch für die heutige Jugend. Träge, weiche Masse. Bremst alles ab. Kein revolutionärer Impetus.«
    »Na, ich war froh drum«, sagte ich. »Fliege nach der Vollbremsung in hohem Bogen durch die Gegend, links und rechts kippt das Gemüse zur Seite, rennt auseinander, fängt an zu flennen.«
    Schade, ich war gerade so schön am Fabulieren. Weiter kam ich nicht, denn nun geschah etwas völlig Unerwartetes. Es war nicht ganz so verheerend wie der Blindgänger von Mannheim-Feudenheim, aber ähnlich eindrucksvoll.
    Im ersten Moment hätte ich auf ein fernes Erdbeben getippt. Das Grollen eines geschundenen Planeten, tektonische Verschiebungen unterhalb des Englischen Jägers . Gläser klirrten, Stühle rumpelten, eine leere Flasche fiel zu Boden. Die Revolutionäre an meinem Tisch drehten sich um und hielten den Atem an. Plötzlich wurde es sehr still in der Gaststube.
    Das Epizentrum des Erdbebens schien drüben beim Stammtisch zu liegen. Ich bemühte mich, zwischen den Köpfen und Schultern meiner zahlreichen Zuhörer hindurchzulugen. Ohne Erfolg; doch dann tauchte über ihnen ein anderer Kopf auf wie ein Krake aus der Tiefsee. Der Kopf war rot, rund und groß. Es ließ sich erahnen, welche Ausmaße der dazugehörige Körper hatte. Aber als meine zurückweichenden Vorderleute die Sicht freigaben, war ich doch überrascht. Was für ein Klumpen Fleisch! Solange die Stammtischler saßen, achtete man nicht auf ihre Statur, und sie saßen eigentlich immer.
    »Was ist los?« fragte ich.
    In dem großen Kopf befand sich ein großer Mund, und dieser Mund öffnete sich wie ein Scheunentor. »Du warsch des also«, dröhnte es aus dem Mund. »Du!«
    Eine scheppernde Bassstimme, aber es war kein Mann. Es war eine Frau, und sie schwankte, als sie ihren tonnenschweren Leib auf unseren Tisch zu bewegte.
    »Du also«, keuchte sie. »Wart du nur ...«
    »Moment, Moment«, sagte ich.
    Ich konnte mir nicht helfen, in diesem Augenblick musste ich an ein Bilderbuch aus meiner Kindheit denken. Es erzählte, wie die Soldaten Alexanders des Großen von den Elefanten der indischen Heere in Angst und Schrecken versetzt wurden. Alles an der Frau war breit und mächtig, ihre Hüfte, ihre Brust, von den Oberarmen ganz zu schweigen. Auf der Oberlippe sprossen dunkle Bartstoppeln, über dem Kehlkopf schaukelte träge ein mächtiges Doppelkinn. Hinter ihr feixten ihre Freunde, diese Clique von Bergstraßen-Mafiosi, die von ihren Mieteinnahmen leben wie die Maden im Speck und sich trotzdem nur Marias billigsten Landwein leisten.
    »Du warsch der Dorschgegnallde«, grollte die Naturerscheinung, »vun dem mei Ängelin vazählt hett. Des ahme Schessica!«
    »Was? Wie?«, stotterte ich.
    »Des ahme Schessica.«
    »Jessica?«
    Sie rückte näher. Alles, was im Weg stand – Stühle, Tische, Gäste –,

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