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Bergisch Samba

Bergisch Samba

Titel: Bergisch Samba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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gegenüberliegenden Wand war ein Fenster, das nichts als den grauen Himmel zeigte.
    »Ich werde nicht reinkommen, wenn Sie nicht wollen«, sagte ich. »Machen wir's kurz, dann gehe ich wieder.«
    Sie blieb in ihrer kauernden Haltung, eng an die Raufasertapete gelehnt.
    »Wann haben Sie Jonas zum letzten Mal gesehen?«
    Sie sagte nichts, beobachtete mich nur. Nach einer Weile erinnerte sie sich an die Flasche in ihrer Hand und trank.
    »Wussten Sie, dass er nach Kanada ausgewandert ist?«, fragte ich weiter. »Hatten Sie gemeinsame Freunde? Können Sie mir den Namen von jemandem sagen, der Jonas kannte?«
    Sie trank ein paarmal hintereinander. Ich wartete mit der nächsten Frage. Vielleicht rang sie sich ja zu einer Antwort durch.
    »Wo ist Lisa?«, fragte sie, und in ihrer Stimme machte sich leichte Panik bemerkbar.
    »Wussten Sie, dass er eine Frau und ein Kind hatte?«
    »Sagen Sie mir, wo Lisa ist!«
    »Lisa kommt gleich. Beruhigen Sie sich.«
    Sie trank schnell ein paarmal.
    »Sagen Sie mir, was Sie über Jonas wissen. Reden Sie einfach drauflos. Es interessiert mich.«
    »Warum?« Sie beobachtete mich lauernd und führte mehrmals die Flasche zum Mund. Ich sah jetzt, dass sie gar nicht trank. Es war nur eine Reflexbewegung. Gleichzeitig starrte sie mich an. Bei jeder Bewegung verteilten sich Wassertropfen und hinterließen auf ihren Jeans dunkle Flecke.
    »Ein Kind ist gestorben«, sagte ich. »Vielleicht war es das Kind von Jonas.«
    »Ich will, dass Lisa kommt.« Sie schüttelte die Flasche, wieder spritzte Wasser.
    »Jonas lebte in einer Hütte. Haben Sie da auch schon mit ihm gewohnt?«
    »Wo ist Lisa?«
    »Jonas ist Zimmermann. Er hat viel von Kanada erzählt. Wissen Sie etwas darüber?«
    »Lisa. Hier bin ich!« Jetzt schrie sie plötzlich.
    »Die Frau war aus Portugal. Sie hieß Maria.«
    »Lisa! Komm schnell!«
    »Lisa kommt gleich«, wiederholte ich. »Es dauert nicht mehr lange.«
    Sie nickte und starrte vor sich auf das Bett. Sie wirkte plötzlich sehr erschöpft. Überall auf der Decke waren nasse Flecken.
    »Ich gehe jetzt«, sagte ich.
    »Lisa«, sagte sie noch einmal leise.
    Vielleicht klappte es besser, wenn ich mehr über Lisa sprach und sie mit in die Fragen einband. »Weiß Lisa möglicherweise etwas über Jonas?«, fragte ich. »Lisa hat mir von Jonas erzählt.«
    Vanessa Michel wandte mir den Kopf zu. »Lisa mag Jonas nicht«, sagte sie.
    »Trotzdem wüsste ich gerne mehr über ihn. Ich mag Jonas nämlich schon.«
    Meine geänderte Strategie zeigte Wirkung.
    »Wirklich?« Sie riss die Augen auf.
    »Ja. Und wer mochte ihn noch?«
    Sie schwieg. »Er lebte im Wald«, sagte sie nach einer langen Pause.
    Ich versuchte, an die Bemerkung anzuknüpfen. »In einer Hütte«, sagte ich.
    Sie schwieg wieder, und ich dachte krampfhaft darüber nach, was ich sagen könnte, um ihre Aufmerksamkeit weiter auf Jonas zu lenken. Ich wälzte die Wörter Wald und Hütte, dachte die ganze Zeit Wald, Wald, Wald.
    »Er interessierte sich für den Hakenkreuzwald«, sagte ich plötzlich.
    Vanessa Michels Kopf ruckte nach oben, und sie sah mich entsetzt an. Sie schien etwas sagen zu wollen, doch sie brachte nichts heraus.
    »Wissen Sie, wo dieser Wald ist?«, fragte ich.
    Sie holte tief Luft; es klang wie ein Stöhnen, und es lief mir eiskalt den Rücken herunter.
    Sie ruckte mit dem ganzen Körper herum und schwang die Beine aus dem Bett. Dann griff sie hektisch zu einem Blatt Papier, das auf dem kleinen Schreibtisch lag, und kritzelte etwas darauf.
    »Der Wald«, brachte sie mühsam hervor und kritzelte weiter.
    Mein Gott, dachte ich. Sie weiß tatsächlich, wo dieser Hakenkreuzwald ist!
    Sie wischte das Papier vom Tisch, und es segelte auf den Teppichboden. Dann suchte sie ihre Wasserflasche. Sie lag schräg im Bett, es lief etwas Wasser aus. Vanessa Michel packte sie und setzte sie mehrmals hintereinander an den Mund. Dabei ließ sie mich nicht aus den Augen. Das Zettelchen lag einen knappen Meter von mir entfernt. Ich wusste nicht, was passieren konnte, wenn ich mich weiter in den Raum hineinbewegte, aber ich musste es riskieren. Ich ging einen Schritt vor und bückte mich. Vanessa Michel kauerte sich wieder auf das Bett und rutschte ganz bis an die Wand.
    »Lisa«, rief sie wieder. »Lisa!«
    Ich erhob mich und warf einen Blick auf den Zettel. Es war ein Umriss, eine Linie, die eine unregelmäßige Form umrandete. Keine Ortsangabe.
    »Was ist das?«, fragte ich. Sie riss die Augen noch weiter auf. Ich steckte den

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