Bergisch Samba
Grinsen der beiden eine Weile nach dem Knopf, der das Fenster wieder in die Ausgangsstellung bringen sollte.
Der Südhang war eine gerade, steile Straße in einem Wohngebiet, das aus einem kleinen Tal hinausgewachsen war. Kein Mensch war zu sehen, aber ich fühlte mich durch die gardinenverhangenen Fenster beobachtet.
Ich klingelte, und es geschah nichts. Ich klingelte wieder. Vergeblich.
Ich hatte in meinen Fällen bisher noch nie mit Leuten zu tun gehabt, die geistig verwirrt waren. Sicher - da hatte es schon mal ein paar durchgeknallte Künstlerinnen oder ein paar Alkoholiker gegeben. Die waren aber nicht geisteskrank, sondern eher etwas exzentrisch gewesen. Bei dieser Frau hier vermutete ich Schlimmeres.
Aber wie dem auch war - offenbar war sie nicht mehr zu Hause. Oder sie öffnete einfach nicht.
Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging den kurzen Weg zurück.
Kaum war ich an der Straße angekommen, hörte ich hinter mir ein metallisches Geräusch. Ich drehte mich um und sah eine Frau im Türrahmen stehen.
»Wissen Sie, wo Lisa ist?«, fragte sie leise.
Sie hielt eine offene Sprudelflasche in der Hand und trank ein paar Schlucke daraus. Ich dachte an das Gluckern, das ich am Telefon gehört hatte.
»Mein Name ist Rott«, sagte ich, ohne näher zu kommen. »Ich hatte angerufen. Sind Sie Vanessa Michel?«
»Lisa ist nicht da.« Wieder trank sie. Ganz kurz und ganz schnell. Es musste eine Art Tick sein.
»Wer ist Lisa?«
»Meine Schwester. Lisa ist nicht da.«
Die Frau sah eigenartig aus. Ihr runder Kopf war fast kahl geschoren, und die Ohren standen grotesk ab. Ihr Gesicht wirkte versteinert, der Blick wie eingefroren, und sie musterte mich regungslos. Ihre einzige Bewegung war das ständige Trinken aus der Flasche.
»Darf ich trotzdem mit Ihnen sprechen?«
»Ich habe Angst vor Ihnen.« Es klang wie eine sachliche Feststellung.
»Das brauchen Sie nicht. Ich tue Ihnen nichts. Ich will nur etwas über Jonas erfahren.« Als sie nicht reagierte und noch nicht mal den Arm mit der Flasche hob, wiederholte ich, worum es ging. »Können Sie sich an Jonas erinnern?«, fragte ich.
»Wo ist Jonas?«
»Das weiß ich nicht. Ich dachte, Sie könnten mir etwas dazu sagen.«
Es war sicher nicht gut, das Thema hier auf der Straße abzuhandeln. Ich konnte die Blicke der Nachbarn noch deutlicher spüren als vorher.
Sie sah mich eine Weile an. Schließlich ging sie einen Schritt zurück. Dann hob sie hektisch die Flasche und nahm gleich drei Schlucke hintereinander. »Reden wir über Jonas«, sagte sie dann.
»Darf ich reinkommen?«
»Wenn Sie mir sagen, wo Lisa ist.«
»Ist Ihre Schwester schon lange fort?«
»Ich weiß nicht.«
»Wo ist sie denn hingegangen?«
»Ich weiß nicht.«
»Sie wird wiederkommen«, sagte ich mit möglichst beruhigender Stimme. »Lassen Sie uns reingehen und ein bisschen über Jonas reden. Dann wird Lisa kommen. Und wenn nicht, suche ich sie für Sie.«
»Wirklich?«
»Es ist mein Beruf, Leute zu suchen.«
Etwas bewegte sich in ihrer Mimik. Sie runzelte die Stirn. Irgendein Gedanke schien sich in ihr zu formen. »Warum suchen Sie Jonas nicht?«, fragte sie dann.
»Ich suche ihn. Deswegen bin ich hier. Sie sind die Einzige, die mir helfen kann.«
Sie nickte zögernd, und ich hatte den Eindruck, ihre Furcht hätte sich etwas verflüchtigt.
»Reden wir über Jonas«, sagte sie.
Ich schritt auf das Haus zu und versuchte, nicht zu hastig zu gehen, um die Frau nicht zu verschrecken. Ich schien ihr immer noch nicht ganz geheuer zu sein. Kurz bevor ich die Tür erreichte, drehte sie sich um und rannte schnell eine Treppe hinauf. Ich betrat das Haus, drückte hinter mir die Haustür zu und folgte ihr.
Oben kam ich auf einen kleinen Gang. Eine der vielen Türen war nur angelehnt. Hinter dem Spalt bewegte sich etwas. Vanessa Michel kauerte auf einem Bett und warf mir einen ängstlichen Blick zu. Ich blieb im Türrahmen stehen.
»Ich will, dass Lisa kommt«, sagte sie und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Ihre Stimme klang dumpf; ich hatte den Eindruck, dass sie weinte. »Sie wird schimpfen, weil ich Sie hereingelassen habe.«
Ich sah mich in dem Zimmer um. Der Raum war fast leer. Ein kleiner Schreibtisch, wie ich ihn in meiner Kindheit gehabt hatte, stand neben dem Bett. Auf der anderen Seite gab es einen Bücherschrank. Ich entzifferte ein paar Titel: »Das Geheimnis der Kornkreise«, »Die kosmische Verschwörung«, »Die Götter von den Sternen«. In der
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